Dieser Band versucht den unmöglichen Spagat: Eine möglichst repräsentative Auswahl aus den unzähligen Storys des Marvel-Übervaters.

Alles andere als ein Eintrag für Stan Lee in der "Marvel Masters"-Reihe innerhalb der Hachette-Sammlung wäre glatte Blasphemie gewesen, schließlich wäre das "House of Ideas", wie wir es heute als multimedialen Giganten kennen, ohne die Basis, welche die 1922 geborene und 2018 von uns gegangene Comic-Legende zusammen mit vielen Künstlern legte, undenkbar. Aufgrund der Tatsache, dass "The Man" in den 1960ern, als der Verlag aufgrund des simplen, aber umso effektiveren Ansatzes "Superhelden brauchen Superprobleme" langsam in Richtung Verkaufsspitze strebte, zeitweise dessen gesamten Output verfasste, ist ein Querschnitt über sein Schaffen eine denkbar knifflige Angelegenheit.
Die vorliegende Ausgabe macht ihre Sache diesbezüglich ziemlich gut und kann zumindest einige offensichtliche Kandidaten, die sich hier aufdrängen würden, insofern abhaken, als sie bereits in früheren Bänden der Kollektion zum Abdruck kamen. Chronologisch wird jedenfalls ein Bogen von 1941 bis 2006 gespannt, von der allerersten (Text-)Geschichte aus "Captain America Comics" 3, die hier neben dem Original auch als Adaption von Bruce Timm den Band eröffnet, bis hin zu einer Story aus "Stan Lee meets Spider-Man" über Motivationsprobleme des Netzschwingers und deren Überwindung. Dazwischen finden auch die kurzen Mehrseiter aus den für den Marvel-Vorläufer Atlas typischen Monster- und Gruselanthologien Berücksichtigung.
Besonders nett ist die Werwolf-Episode aus "Menace" 3 von 1953, also noch kurz vor der Einführung der durch die Machinationen des unseligen Fredric Wertham bedingten Comics Code Authority, gegen deren Zensur sich Lee selbst in den 1970ern erfolgreich stellen sollte. Dann geht es weiter mit "Amazing Spider-Man" 39 und 40, in denen er gemeinsam mit Steve Ditkos Nachfolger John Romita ein legendäres Duell des Netzschwingers gegen den Green Goblin schilderte, gefolgt von einer ausdrucksstarken Daredevil-Story um einen blinden Vietnam-Veteranen, "Fantastic Four Annual" 6 mit dem Debüt von Annihilus und der Geburt von Sue Storm-Richards (hier noch namenlosem) Sohn sowie "Marvel Premiere" 3 mit Doctor Strange und Topzeichner Barry Windsor-Smith.
Das Finale bestreitet mit "Silver Surfer: Parable" einer der späten Höhepunkte, für die niemand Geringerer als Jean Giraud alias Moebius 1988 den Stift schwang. Die Story rund um den erneuten "Besuch" von Weltenverschlinger Galactus auf der Erde vereint in zwei Teilen viele Motive, die sich durch das Superhelden-Œuvre Lees ziehen und erahnen lassen, warum Norin Radd einer seiner liebsten Schöpfungen war, an die er lange Jahre keine anderen Kreativkräfte heranließ. Die fantastische Erzählung um die Pervertierung von Glauben und das Streben des Menschen nach einem höheren Zweck hat (leider) nichts an Aussagekraft und Aktualität verloren. Abgerundet wird der schwer empfehlenswerte Band durch die üblichen Infos und eine kleine Auswahl aus der langjährigen Kolumne "Stan`s Soapbox".