Es ist der Traum vieler Menschen, einmal im Leben die Möglichkeit zu haben unsichtbar zu ein, um ihre geheimen Wünsche auszuleben. Doch solche Sehnsüchte können schnell gefährlich werden.
Inmitten eines gewaltigen Schneesturms kämpft sich eine vermummte Gestalt an die Tür eines Gasthauses in Iping, einem Dorf in der englischen Provinz. Der unheimliche Fremde, dessen gesamter Körper unter einer dicken Schicht von Bandagen verborgen liegt, bittet auf unbestimmte Zeit eines der Zimmer beziehen zu dürfen. Trotz des ungewöhnlichen Aussehens beschließen die Wirtsleute, dem Wunsch des Mannes nachzukommen, denn sie können das zusätzliche Geld in der Kasse gut gebrauchen. Doch die anfängliche Freude über die zusätzliche Einnahmequelle wird schnell getrübt. Der Unbekannte ist äußerst wortkarg und abweisend.
Andere Menschen meidet der Vermummte, wo er nur kann und verlässt das Haus nur tief in der Nacht, wenn er sicher sein kann, kaum einen anderen Menschen zu begegnen. Aufgrund der Neugier der Dorfbewohner sieht er sich alsbald gezwungen, ihnen zu verraten, dass er Wissenschaftler sei und an einer bedeutenden Entdeckung arbeite. Noch ahnt keiner der Menschen, mit denen er unter einem Dach lebt, welch düsteres Geheimnis der Mann verbirgt. Seine Forschungen haben nämlich nicht nur seinen Körper unwiederbringlich verändert, sondern auch auf bedenkliche Art seinen Geist zerrüttet.
Immer öfter kommt es zu unkontrollierten Gefühlsausbrüchen, einhergehend mit immer schlimmeren Wahnvorstellungen, die in der Idee einer neuen Weltordnung gipfeln. Als es zu immer schlimmeren Verbrechen in immer kürzerer Zeit kommt und das Geheimnis des unbekannten Wissenschaftlers an die Öffentlichkeit dringt, liegt es an einer kleinen Gruppe Unerschrockener, dem Wahnsinnigen Einhalt zu gebieten.
Im Lauf der Jahre wurden bereits viele Klassiker der Horror- und Gruselliteratur im "Gruselkabinett" vertont, mit "Der Unsichtbare" hält nun weiteres Meisterwerk seiner Gattung Einzug in diesen erlauchten Kreis. Neben "Die Zeitmaschine" und "Krieg der Welten" dürfte das vorliegende Hörspiel zu den bekanntesten Werken von H. G. Wells zählen. Wenn man in diesem Zusammenhang lediglich von einem Meilenstein eines bestimmten Genres spricht, ist dies sicherlich zu kurz gegriffen. Wells möchte nicht allein mit einer Geschichte unterhalten, die einem einen wohligen Schauer über den Rücken jagt, sondern zeigt seinem Publikum außerdem, wohin ungebremster und unkontrollierter Forschungsdrang führen kann. Daneben wird ein Thema aufgegriffen, das auch in unserer heutigen Zeit noch brandaktuell ist.
Immer wieder werden Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder anderer Besonderheiten diskriminiert und an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Was dies bei den Betroffenen auslösen kann, spiegelt sich am Beispiel von Griffin wider, der einen ungewöhnlichen Weg wählt, um seine persönliche Lage zu verbessern und sich dabei unvorhergesehen in eine noch größere Außenseiterrolle bringt, da es ihm nicht gelingt, seine Unsichtbarkeit wieder rückgängig zu machen, außerdem geht der andauernde Zustand mit einer beunruhigenden emotionalen Veränderung einher.
Einen großen Teil seiner Spannung zieht dieses Hörspiel aus jenen Momenten, in denen die Menschen auf Griffin stoßen und keinerlei Ahnung haben, was eigentlich um sie herum geschieht. Es wird für jeden schnell spürbar, welche Macht man besitzt, wenn die anderen einen nicht sehen können, wenn es dann noch gelingt, dies auch für das Publikum eines Hörspiels nachvollziehbar zu gestalten, hat man bereits die halbe Miete im Sack. Im letzten Part des Zweiteilers kommt natürlich die Frage hinzu, ob es gelingt, den Unsichtbaren und seine Pläne zu stoppen. Gerade der zweite Teil des Hörspiels fällt deutlich spannender als der Auftakt aus, hier erfährt der Hörer, was Griffins Motivation war, um sich mit diesem doch eher sonderbaren Feld der Wissenschaft zu befassen und welche beunruhigenden Ereignisse diese Forschungen nach sich zogen.
Der Auftakt fällt leider ein wenig zu langatmig und dialoglastig aus, hier hätte man ruhig ein wenig kürzen dürfen, schließlich dürfte es jedem schnell klarwerden, dass Griffin nicht unbedingt ein angenehmer Zeitgenosse ist und man mit ihm nicht mehr Zeit als nötig verbringen will. Wenn die Ereignisse dann allmählich ins Rollen kommen, zeigt der Spannungszeiger auch deutlich nach oben und die gesamte Geschichte nimmt ordentlich an Fahrt auf. Die Geräusche sind wie gewohnt eher dezent gewählt, sorgen aber für die richtige Stimmung und das passende Flair, um die geschilderten Ereignisse zu verstärken und intensiver werden lassen. Die musikalische Gestaltung ist dieses Mal sehr düster und bedrohlich ausgefallen und wendet sich sogar in einigen Momenten düsteren elektronischen Klängen zu, was aber zu den jeweiligen Szenen durchaus passt und sie für den Hörer noch dunkler und abweisender wirken lässt.
Gerade die zwiespältigen, dunklen und oft bösartigen Charaktere einer Geschichte stellen die größten Herausforderung an einen Schauspieler dar, denn es bedarf eines großen Einfühlungsvermögens und einer greifbaren Präsenz, um solche Figuren glaubwürdig spielen zu können. Simon Böer ist dieser nicht einfache Spagat in der Rolle des Griffin gelungen. Er schafft es, die schroffe, abweisende Haltung eines gesellschaftlichen Außenseiters ebenso realistisch und nachvollziehbar zu machen wie den zusehenden Verfall und das in den Wahnsinn abdriftende Verhalten seiner Figur. Eine beeindruckende Leistung! Michael Che-Koch übernimmt in der zweiten Hälfte den Widerpart zu Griffin und es gelingt ihm, einen Mann zu verkörpern, der in eine ungewollte Rolle gedrängt wird, diese jedoch annimmt und alles daran setzt, einen Verrückten aufzuhalten.
Dazu kommen viele weitere bekannte Sprecher, die selbst kleine Rollen mit ihren außergewöhnlichen Stimmen Ausdruck und Tiefe verleihen. Da wären im Einzelnen so bekannte Namen wie Lutz Riedel, Eva-Maria Werth, Bodo Primus und Claus Thull-Emden. "Der Unsichtbare" ist sicherlich eine weitere Bereicherung dieser beindruckenden Reihe, einziger Wermutstropfen ist der etwas zähe und langatmige Auftakt, für den man im späteren Verlauf jedoch mit einer packenden wie bedrohlichen Geschichte belohnt wird. Das "Gruselkabinett" ist und bleibt auch mit 121 Folgen eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Hörspiellandschaft.