Keiner weiß, was sich wirklich hinter den finsteren Mauern eines Anwesens am Meer ereignet hat.
Jede Stadt hat Orte, die von den Menschen gemieden werden und über die eine Reihe von finsteren Geschichten im Lauf sind, welche man nur hinter vorgehaltener Hand zu hören bekommt. Als ein Fremder eine norddeutsche Stadt durchstreift, stößt er auf einen jener Plätze, die eine dunkle Aura zu umgeben scheint – Bulemanns Haus. Durch einen zufällig vorbeikommenden Passanten und einem alten Organisten erfährt er von der Geschichte des alten und verfallenen Gemäuers. Einst lebte dort ein alter, verbitterter Mann, dessen einziges Interesse dem Profit und der Vergrößerung seines persönlichen Reichtums galt. Einsam und zurückgezogen lebte allein mit einer kauzigen Haushälterin in dem windschiefen Gebäude.
Überhaupt hegte er eine große Verachtung für seine Mitmenschen – ein Misanthrop wie aus dem Bilderbuch. Mitgefühl und Barmherzigkeit waren dem Alten fremd. Dies galt nicht nur für Fremde, sondern auch Nachbarn und Familie. Eines Tages schließlich sorgte seine Herzlosigkeit für den Tod eines Kindes. War die Atmosphäre des Anwesens bereits zuvor von Kälte geprägt, so schlichen sich nun auch Angst und Furcht dort ein. Etwas Böses hatte Einzug gehalten und machte auch vor dem Hausherrn nicht halt.
Mit "Bulemanns Haus" kehrt einer der großen deutschen Erzähler ins "Gruselkabinett" zurück. Keinem Zweiten ist es gelungen Land und Menschen an der Küste des deutschen Nordens so authentisch und naturgetreu einzufangen wie Theodor Storm. Ebenjene besondere maritime Note spiegelt sich natürlich auch in jenen Erzählungen wider, die man der Schauergeschichte zu rechnen kann. So verwundert es kaum, dass nach
"Der Schimmelreiter", der wohl bekanntesten Novelle Storms, nun auch "Bulemanns Haus" einen Platz in der Reihe erhält.
Im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser Gattung, insbesondere aus dem angloamerikanischen Raum, verzichtet Storm auf eine Manifestation des Grauens in Form von Geistern, Gespenstern oder sonstigen Kreaturen. Das Übersinnliche schleicht sich auf subtile Art in seine Geschichten und ist selten greifbar, obwohl doch jederzeit präsent und für sein Publikum fühlbar.
Bulemanns Haus wird von keinem Geist heimgesucht, das Böse erwächst aus dem Verhalten des Besitzers und wird mit jeder weiteren niederträchtigen Handlung gegen seine Mitmenschen deutlicher und präsenter in den Räumlichkeiten des Gemäuers. Trotz ihres moralischen Aspekts kann man sich der dichten Atmosphäre der Handlung kaum entziehen. Die Erzählgeschwindigkeit bewegt sich zwar in äußerst ruhigen Gewässern, jedoch mangelt es zu keiner Zeit an Spannung und bis zum Schluss gelingt es dem Stoff, das Publikum zu fesseln.
Einen nicht unwesentlichen Anteil daran dürfte die Gestaltung dieses Hörspiels haben. Immer wieder gibt es Rückblicke in die Vergangenheit, allerdings verzichtet man darauf, diese Passagen nachzuerzählen und lässt den Hörer unmittelbar an den Ereignissen teilhaben. Die Dialoge sind überzeugend und der Zeit, in der die Story angesiedelt ist, durchaus angemessen. Die Geräusche sind einmal mehr mit viel Liebe ausgewählt worden und schaffen es mühelos den besonderen Charakter der Geschichte anklingen zu lassen. Die verwendeten Kompositionen tun dann ein Übriges, um den maritimen Aspekt der Erzählung anklingen zu lassen und den unheimlichen Charakter einiger Szenen nochmals deutlich hervor zuarbeiten.
Horst Naumann ist im "Gruselkabinett" dauerpräsent und liefert egal in welcher Rolle Qualität, doch die Besetzung als Bulemann ist einfach genial. Mit jeder Silbe nimmt man ihm den alten, verbitterten Mann ab, der alles und jeden zu hassen scheint. Dagmar von Kurmin fängt den wachsenden Wahnsinn ihrer Figur gekonnt ein und Peter Weis weiß als Erzähler zu gefallen. Dazu gesellen sich unter anderem Michael Pan, Claudia Urbschat-Mingues und Eckart Dux, die schon allein mit ihrem Namen für beste Unterhaltung bürgen. Eine weitere gute Produktion innerhalb der Reihe, bei welcher der Gruselfaktor etwas geringer ausfällt als gewohnt, die dafür aber als eine tiefe Verbeugung vor deutscher Literaturgeschichte daherkommt.