Anlässlich der großartigen Umsetzung von Michael Hutters wunderbar frivolem Werk "Melchior Grün" und dessen Vorgeschichte als Hörbuch durften wir neben dem Meister selbst auch Sprecher Philipp Engelhardt und Mario Weiß, seines Zeichens Labelboss von Yellow King Productions, ein paar Fragen stellen.
Frivole Erzählungen scheut(e) die Kirche bekanntlich seit jeher wie der Teufel das Weihwasser. So war es nicht weiter verwunderlich, dass es den Männern des Glaubens im 15. Jahrhundert scheinbar gelang, die Existenz eines gewissen Melchior Viridis aus der Geschichte zu tilgen – bis der deutsche Maler, Illustrator und Autor Michael Hutter in einer Klosterbibliothek auf eine Handschrift über den fahrenden Sänger und Gelehrten stieß, der damals als Ketzer verleumdet wurde.
Sein davon inspiriertes (und mittlerweile längst vergriffenes) Buch
"Melchior Grün" schildert in Form von fünf Moritaten in barocker Sprach- und Bildgewalt Reisen in Gegenden, "die nie zuvor ein Christenmensch geschaut hatte", wo es ebenso sündhaft wie schräg zugeht und sich lüsterne Nonnen, ein impotenter Zauberer sowie allerlei Wesen über- oder gar außerirdischer Herkunft ein Stelldichein geben.
Bei Yellow King Productions ist kürzlich nicht nur das Hörbuch zu dieser fantastischen Preziose erschienen, sondern mit "Von der Prinzessin und der Fischerstochter" auch deren Vorgeschichte rund um die dramatischen Folgen einer Verwechslung. Wir haben das zum Anlass genommen, um nicht nur Michael Hutter, sondern auch Philipp Engelhardt, der beide Hörbücher eingelesen hat, sowie Mario Weiß, den Chef von Yellow King Productions, ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.
Michael Hutter
SLAM: Es ist nun schon über zwei Jahrzehnte her, dass du bei deiner Recherche auf die Aufzeichnungen gestoßen bist, welche die Inspiration für "Melchior Grün" lieferten. Mich würde interessieren, ob in der Zwischenzeit eigentlich noch weitere alte Vermerke zu Michael Viridis aufgetaucht sind? Hat sich noch jemand Anderes des Themas – und klarerweise der aufwendigen Spurensuche – angenommen? Michael Hutter: Es freut mich, dass du dich so intensiv mit "Melchior Grün" beschäftigst! Was die Aufzeichnungen betrifft, die damals die Grundlage für die Geschichten bildeten: Es ist tatsächlich faszinierend, dass nach all den Jahren kaum neue Hinweise zu Michael Viridis ans Licht gekommen sind. Es scheint fast so, als wären bewusst Spuren verwischt worden – oder die Zeit selbst hat vieles verschluckt. Gerüchteweise soll es zu einem Brand in der bewußten Klosterbibliothek gekommen sein und der Mönch, welcher mir damals, heimlich und ohne Wissen des Abtes oder anderer Vorgesetzter, den Zutritt zur Bibliothek ermöglicht hat, ist unter unklaren Umständen verschwunden.
Die gedruckten Fassungen von "Melchior Grün" und "Von der Prinzessin und der Fischerstochter" sind schon seit längerem vergriffen. Gibt es deinerseits Absichten oder Planungen, da in absehbarer Zeit vielleicht eine Neuauflage in Angriff zu nehmen, eventuell sogar mit beiden Bänden zusammengefasst in einer Ausgabe? Eine kombinierte Ausgabe von "Melchior Grün" und "Von der Prinzessin und der Fischerstochter" wäre ein prima Projekt, das ich sehr gerne angehen würde. Da könnte man dann auch wieder die schönen Illustrationen, auf die ich sehr stolz bin, zeigen. Aber im Moment gibt es keine konkreten Pläne. Ich behalte es im Hinterkopf und hoffe in absehbarer Zeit einen Verleger zu finden, mit dem sich das verwirklichen lässt.
Darf man sich Hoffnungen machen, dass deinerseits das letzte Wort in Sachen Melchior Grün noch nicht gesprochen respektive geschrieben ist und dir die Hörbuchfassungen von Yellow King Productions womöglich einen Impuls für neue Geschichten verliehen haben? Oder hast du da schon alles an frivolen Eskapaden erzählt, was du erzählen wolltest? Was neue Geschichten betrifft, so haben die Hörbuchfassungen von Yellow King Productions in der Tat einiges in mir wachgerüttelt. Ob das jedoch in neue Eskapaden von Melchior Grün mündet, kann ich nicht versprechen. Manchmal fühlt es sich so an, als hätte ich alles gesagt, was gesagt werden wollte, und an meine damaligen Quellen komme ich ja auch nicht mehr heran. Derzeit bin ich mit der Veröffentlichung eines ganz neuen Geschichtenzyklus, dem "Buch vom Kranzedan" im Zagava Verlag, beschäftigt.
Philipp Engelhardt
SLAM: "Melchior Grün" und seine Vorgeschichte sind ja gekennzeichnet von einer bildgewaltigen Sprache mit vielen altertümlichen Ausdrücken, die den Anschein erwecken, als seien die Geschichten tatsächlich schon vor vielen Jahrhunderten geschrieben worden. Wie ist es dir da beim Einsprechen der Texte ergangen? Philipp Engelhardt: Durch die fast poetische Sprache fiel es mir einfach, gleich ein Gefühl für die Atmosphäre zu entwickeln. Im Grunde musste ich nur dem Rhythmus des Textes folgen und die beschriebene Handlung vor dem eigenen Auge sehen. Im Gegensatz zu neumodischen Texten, die oft eher beiläufiger gelesen werden, ist die Sprachbehandlung bei "Melchior Grün" eine eher künstlerische. Da hilft ein bischen Handwerk, das man an der Schauspielschule oder auf der Bühne im Umgang mit klassischen Texten erlernt.
Mich würde interessieren, was deine erste Reaktion auf "Melchior Grün" war und welche Anforderungen – oder Herausforderungen für dich als Vortragender – ein Text generell haben muss, damit du an Bord kommst bei einer Umsetzung als Hörbuch? Meine erste Reaktion beim Lesen war zum einen eine Faszination für die märchenhafte Sprache und die genaue Beschreibung einer fernen Welt, in die ich sofort eintauchen konnte. Zum anderen stießen mir die erotischen Momente kurz ein bischen auf. Generell lese ich ungern Texte mit sexuellem Inhalt. Da hier aber alles in eine ansprechende Kunstform gepackt wurde und die Geschichten einen märchenhaften Charakter haben, machten mir die entsprechenden Sequenzen bei der Aufnahme Spaß. Im zweiten Text "Von der Prinzessin und der Fischerstochter" sind die Szenen teilweise ja noch expliziter. Durch die Erfahrung mit "Melchior Grün" konnte ich dann mutiger in die jeweiligen Textstellen einsteigen. Ich bin gespannt, wie die Hörer auf das Ergebnis reagieren! Im Grunde lese ich gerne unterschiedliche Genres, so bleibt die Arbeit spannend und herausfordernd. Im besten Fall sollte die Geschichte mich auf irgendeine Art fesseln, wobei ich auch Kinderbücher mag und auch gerne mal Sachbücher einspreche. Langweilig finde ich Texte, in denen viele Worte für wenig Inhalt verwendet werden – wenn zum Beispiel stundenlang über irgendwelche Frisuren, Kleidung oder dergleichen geschrieben wird.
Kannst du bitte anhand der beiden Erzählungen von Michael Hutter verraten, wie wir uns deine Vorbereitungen auf das Einsprechen eines Hörbuchs vorstellen können? Wie viel Zeit vergeht beispielsweise zwischen dem ersten Lesen eines Textes und dem finalen Take der Aufnahme? Die groben Arbeitsschritte sind ein erstes Lesen und dann die Vorbereitung des Textes für die spätere Aufnahme. Jeder Sprecher arbeitet da anders. Ich selbst mag es noch mit Papier zu arbeiten, andere nutzen gern ein Tablet. Meine Texte sehen nach der Vorbereitung aus wie eine kleine Partitur, die ich dann später in der Tonkabine genauso abrufe. Ich schlage Fremdwörter nach, notiere mir Betonungen und Pausen im Text. Zudem vermerke ich vorab die jeweiligen Figuren respektive Namen in Dialogen, um bei der Aufnahme schnell von einer Rolle in die nächste schlüpfen zu können. Meistens findet die Aufnahme bei mir gleich nach der Textbearbeitung statt, da ist man dann noch gut in der Geschichte drin. Selten gehe ich erst am Folgetag ins Studio.
Mario Weiß
SLAM: Yellow King Productions ist bekanntlich abonniert auf Stoffe mit bisweilen schrägem, absonderlichem Charakter, von daher fügt sich "Melchior Grün" wunderbar ins Programm. Wie bist du eigentlich auf das Buch beziehungsweise Michael Hutter gestoßen? Mario Weiß: Ich bin vor ein paar Jahren schon einmal im Zuge der Recherche zu "König in Gelb"-Veröffentlichungen im deutschen Raum auf Michaels Bilder zum Thema "Carcosa" gestoßen, die mich absolut umgehauen haben. Ich bin kein großer Kunstkenner, aber das war für mich so eine Mischung aus Hieronymus Bosch und Zdzisław Beksiński mit eigener und etwas farbenprächtigerer Note – aber nicht weniger unheimlich! Ich hatte da sofort einen Lovecraft’schen "Pickman" im Kopf und dachte mir: "Was muss das für ein faszinierender Mensch sein, der so eine Gabe hat?" Ich bin Musiker und Audioproduzent und selbst eine Art "Künstler" – und da kuckt man freilich hinüber in den anderen Kreis, um erfreut festzustellen, dass es da eventuell Schnittmengen gibt. Ich habe Michael dann einfach angerufen, weil ich neugierig war und wir hatten schnell einen guten Draht zueinander. Lustigerweise haben wir dann auch herausgefunden, dass er eine der Bands, in denen ich tätig bin, kennt und mag – nämlich ATLANTEAN KODEX, wo ich am Schlagzeug sitze. Das war nochmal ein zusätzliches Bindemittel. Gelb hat sich mit Grün vermischt und heraus kam eine wirkliche schaurig schöne Farbe die sich hoffentlich auch hören lassen kann!
Magst du bitte einen kleinen Einblick geben, wie die beiden Hörbücher letztlich zustande gekommen sind und ob es auf dem Weg bis zur Fertigstellung irgendwelche Hürden zu überwanden galt? Hürden gab es tatsächlich keine. "Melchior Grün" und "Von der Prinzessin und der Fischerstochter" habe ich auf der Liege im Garten bei Sonnenschein förmlich verschlungen und hatte sofort eine wohlige Gänsehaut. Dabei hörte ich die Stimme von Philipp Engelhardt aus Berlin schon in meinem Kopf. Kurze Rücksprache mit Autor und Sprecher – beide waren begeistert und dann ging es auch schon los. Nochmal ein kurzes Lektorat – das war zu 99,9% perfekt, nur ein paar kleine Anpassungen wurden gemacht. Nach den Aufnahmen ging das Ganze an Sebastian Quadflieg von Q-Audio, das Tonstudio unseres Vertrauens in Münster. Er hat dann die finale Bearbeitung und die Postproduktion übernommen, also Schnitt, Mixing und Mastering. Parallel haben wir die Cover angepasst und vorbereitet. Anschließendes Korrekturhören und Feinschnitt, Pausen et cetera, Musik einbauen, Kapitelunterteilung. Ein Träumchen, sag ich dir! Da hatten wir schon schwerere Geburten. (lacht)
Wie ist die bisherige Resonanz auf die beiden "Melchior Grün"-Hörbücher, auch im Vergleich zu euren anderen Veröffentlichungen? Dazu kann ich leider nicht so viel sagen, weil es noch keine Bewertungen bei BookBeat oder Audible gibt. Es wurde zwar schon ein paarmal verkauft, aber nichts bewertet. Das ist natürlich ein bisschen schade aber wichtig ist mir erst mal, dass die Qualität passt und alle Beteiligten mit dem Ergebnis zufrieden sind. Den Leuten aus meinem Umfeld hat es auch super gefallen und sie haben schon gefragt, ob der Melchior nochmal "umgehen" wird. Wenn es anderen Menschen auch noch gefällt, ist das eine nette Nebensache. Das würden viele als einen unwirtschaftlichen Gedanken empfinden, aber wenn es ständig nur um den schnöden Mammon geht, bleibt die Kunst irgendwann auf der Strecke und so jemand wie der fabelhafte Melchior Grün würde niemals das Licht der Welt erblicken – zumindest nicht im Hörbuchformat! Zudem gibt es jeden Tag gefühlt 1000 neue Veröffentlichungen in sämtlichen Medienbereichen und da stellt sich bei vielen auch eine gewisse Übersättigung ein. Da muss man realistisch sein. Im Vergleich zu den anderen Veröffentlichungen: Es gibt große Lizenztitel die sich richtig gut verkaufen, aber auch Geschichten noch nicht so bekannter Autoren und Autorinnen. Das Verlagsprogramm ist also sehr vielseitig. Unser Ziel ist es, dass das eine sich mit dem anderen verwebt, denn jeder fängt mal klein an und man mag nicht glauben, was sich da für Talente tummeln.
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Illustrationen aus "Melchior Grün" © Michael Hutter