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KETTCAR


Über „Marcelinho“ und die Geschichte eines Tanzbären

kettcar / Zum Vergrößern auf das Bild klickenJetzt ist es also da, KETTCARS Zweitwerk „Von Spatzen Und Tauben, Dächern Und Händen“, und was für eine Erwartungshaltung! Viele Menschen zwischen Flensburg und Klagenfurt haben darauf gewartet.  Das Debüt „Du Und Wieviel Von Deinen Freunden“, an das anfangs nur so wenige glauben wollten, entwickelte sich zu einem absoluten Meilenstein deutschsprachiger Rockmusik, und wurde kürzlich in diesem Magazin auf Platz sieben der besten 100 Alben der letzten zehn Jahre gewählt. Das Slam fand es deshalb an der Zeit ein paar Worte mit Sänger, Hauptsongwriter und D.I.Y-Buisiness-Ikone Marcus Wiebusch zu wechseln.


Es war im Oktober 2003, als uns KETTCAR die prollig herzliche Frage: „Du Und Wieviel von Deinen Freunden“ stellten. Die Antwort kennen wir, und am „Balkon Gegenüber“ musste angebaut werden - Auf Fußballfeldgröße, damit all die Menschen, die Sich-Verstanden-Fühlenden, die Bewegten, auch Platz haben. Das macht es nicht gerade leichter für KETTCAR, denn was kann man nach so einem Meisterwerk schon nachlegen. Kaum eine Band in den letzten Jahren wusste so sehr zu bewegen, und das auf eine völlig unpeinliche Art und Weise wie KETTCAR. Als beeindruckendes Beispiel sei hier das „Fight Club“-inspirierte „Ich Danke Der Academy“ genannt, welches wiederum stellvertretend für Marcus Wiebuschs großartiges Händchen für textliche Finessen steht. Mit einer Fülle an Impressionen, Erkenntnissen und Emotionen fand man sich in einer irgendwie anders gewordenen Welt, nach einem Durchlauf von „Du Und Wieviel Von Deinen Freunden“ wieder. Lieder vom Verlassen-Werden, über die Schattenseiten, und den traurigen Rest, der „Jenseits Der Bikini-Linie“ lauert, sind darauf zu finden. Lieder, die mal in klaren Sätzen, und dann wieder verschlüsselt emotional unter die Haut gehen. „Hetero und männlich, blass und arm, weil wir bleiben wie wir waren.“ Lieder für Menschen, die keinerlei Freunde der Eskalation sind, mitunter aber erkennen müssen, dass das Leben sich nun mal von Zeit zu Zeit darauf zuspitzt. Wie scheiße das sein kann, davon weiß Marcus Wiebusch das eine oder andere Lied zu singen. „Wir können das alles diskutieren...“

Die Entwicklung

Wiebusch, der sein Innerstes nach außen gekehrt hatte, distanziert sich ein wenig von seinem Seelenstriptease. Im neuen Album hält er sich deutlich bedeckter. Die Umstände sind heute zweifelsfrei auch andere als damals. Mit nichts in der Hand als einem Kontoauszug mit fettem Minus darauf, hatte sich Marcus Wiebusch in das Abenteuer Indierock gestürzt. Die Trümmer einer jahrelangen Vergangenheit im politischen Punkrock hinter sich lassend. Dass so was leicht existentialistisch stimmen kann, ist nachvollziehbar. Heute, als erfolgreicher Musiker, Labelchef und, wie er sagt, wesentlich ausgeglichenerer Mensch, herrschen songwritingtechnisch natürlich ganz andere Verhältnisse. In „Balu“, den Song den Wiebusch als seinen wichtigsten auf dem neuen Album bezeichnet, ist zwischen den Zeilen dazu einiges zu lesen. „Frieden ist wenn alle gleich sind.“ Ich kann mich ja irren, aber ich persönlich denke, der Tanzbär fühlt sich heute gleicher als damals.

Das neue Album ist im Kasten. Die Erwartungshaltung groß. Wie läuft’s? Habt ihr das Gefühl das alles glatt läuft, oder regiert der Stress?

Also was wir haben ist Stress. Die Erwartungshaltung Vieler ist auf Grund des Erfolges des ersten Albums dementsprechend groß, aber unser eigener Erwartungsdruck ist in dem Moment abgefallen, als wir das neue Album fertig hatten. Ab da war für uns klar, dass wir es hingekriegt hatten ein gutes Album abzuliefern. Was jetzt passiert, ist einfach die Umsetzung...

Die Promoarbeit?

Was man halt machen muss – Es macht auch Spaß. Es ist nicht so, dass das nur eine mühselige Arbeit wäre. Gehört eben auch dazu, und ist mir auch von der ersten Sekunde an klar gewesen.

Habe das Album leider erst gestern Abend bekommen (ist im Postweg stecken geblieben), und konnte daher leider noch nicht allzu tief darin eintauchen. Die ersten Impressionen waren aber sehr gut. Hat wieder Swen Meyer produziert? Ich finde, dass es recht nahtlos an den Vorgänger anschließt. Siehst Du das auch so?

Musikalisch ja, textlich nicht. Und ja, Swen Meyer unser Haus- und Hofproduzent vom Grand Hotel hat wieder produziert.

Habe neulich im Netz ein Interview gelesen, dass kurz vor eurem Debüt erschienen ist. Du prophezeitest damals, dass die zweite Platte wahrscheinlich ganz anders werden würde.

Nun, musikalisch ist es so, dass es eben diesen KETTCAR-Sound gibt. Das ist das was wir können, und woran wir uns orientieren. Wir wissen, dass wir keine neuen Soundentwürfe wie z.B. NOTWIST oder so anbieten können. Das wäre bei uns wie „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“. Ich denke wenn wir es wirklich versuchen würden, kacken wir ab. Wir sind musikalisch auch einfach zu große Fans von Gruppen wie WEEZER oder OASIS – Eben einfacheren Songstrukturen. Musikalisch wollen wir keine komplizierten Songs schreiben...

Textlich aber schon...

Absolut, und das ist die andere Komponente, das andere Bein auf dem KETTCAR stehen, und da unterscheiden wir uns sehr wohl von unserem ersten Album.

Inwiefern würdest Du sagen?

Es ist vielseitiger. Die Key-Songs des ersten Albums drehten sich in erster Linie darum wie es einem geht – Das persönliche Seelenheil gerade aussieht, und wie man da vielleicht wieder rauskommt. Wie ich mittlerweile weiß, ist es mir auf eine relativ unpeinliche Weise geglückt, dass sich die Leute in den Texten wieder finden. Die neue Platte ist aber anders. Ich habe mit „Nacht“ erstmals ein Liebeslied geschrieben. Das brauchte vier BUT ALIVE-Alben, zwei bei RANTANPLAN und eines bei KETTCAR bis es soweit war. „Deiche“ ist politisch, „Stockhausen“ ist ein Quatsch-Song – Eben ganz unterschiedliche Sachen und Textebenen. Das erste Album hatte noch so etwas wie einen „befindlichkeitsfixierten“ roten Faden. Den gibt es beim neuen Album nicht. Es ist dafür wesentlich vielseitiger.

Themen wie Melancholie sind aber nach wie vor präsent...

Die dringt einfach aus meinem Körper raus! Ich bin jetzt allerdings ein viel, viel glücklicherer Mensch als damals, und auch wesentlich ausgeglichener. Aber diese gewisse Traurigkeit... Melancholie wird immer ein Teil... – Ich will eben einfach Songs schreiben, die etwas bedeuten, und da spielen Schmerz und Trauer eben eine große Rolle. Also ich verzweifle nicht an der Welt, aber ich bin ein sehr nachdenklicher Mensch. Wenn man viel nachdenkt, und viele Emotionen zulässt, dann kommen die traurigen Geschichten bei mir ganz von alleine.

Schreibst Du die Lieder eigentlich im Alleingang?

Musikalisch nicht. Da bringen sich auch Erik und Reimer stark ein. Die Texte auf der neuen Platte sind alle, bis auf einen von mir. „Die Wahrheit Ist Man Hat Uns Nichts Getan“ hat Reimer geschrieben. Auf der ersten Platte hat Reimer zweieinhalb geschrieben – „Ausgetrunken“ haben wir gemeinsam gemacht.

Über Erfolg und die Sache mit der Identifikation

Kurz vor dem Interview drücke ich Marcus Wiebusch noch die letzte Ausgabe vom Slam Zine, mit dem Voting der besten 100 Platten der letzten zehn Jahre in die Hand. Über die Platzierung unter den Top Ten zeigt er sich beinahe fassungslos. „Was? Noch vor REFUSED? Vor WEEZER? Ach, Ihr spinnt ja!“ Freude und stolz stehen ihm ins Gesicht geschrieben, und er fängt sorglos an zu lesen. Erst nach annähernd einer Minute bemerkt er meine Unruhe, und dass ich eigentlich nicht den weiten Weg durch Schnee und Eis gekommen bin, um ihm beim Lesen zuzusehen. Es ist ein interessantes Phänomen, dass Menschen die hart um ihren Erfolg gekämpft haben, oft am empfänglichsten für Schmeichelei sind. Und hart gekämpft, das hat er. Die Plattenindustrie scherte sich damals einen Dreck um KETTCAR, weshalb Wiebusch, Reimer Bustorff und TOMTE-Sänger Thees Uhlmann den Sprung ins kalte Wasser wagten, und ihr eigenes Label Grand Hotel Van Cleef gründeten. Der Rest ist Indie-Geschichte, und eine erfolgreiche obendrein. Neben KETTCAR, TOMTE, MARR, OLLI SCHULZ und BERND BEGEMANN, befinden sich noch so illustre transatlantische Acts im Sortiment wie die wunderbaren DEATH CAB FOR CUTIE, MARITIME und die ersten beiden Alben der famosen WEAKERTHANS. „Ja, und das hört einfach nicht mehr auf. Seit über zwei Jahren verkaufen wir schon unsere Scheiß-Platten, und es geht immer weiter.“ Worüber sich Marcus Wiebusch besonders erfreut zeigt, ist, dass sich der Erfolg durch „die Musik, die Musik und noch mal die Musik“ eingestellt, und sich einen eigenen Weg fern ab der bekannten Mühlen des Mainstreams gebahnt hat.

„Du Und Wieviel Von Deinen Freunden“ hat ja recht viel bewegt, und sich um die 30 000mal verkauft, soweit ich gehört habe. Ihr habt turbulente Jahre hinter euch. Wie fühlte sich der plötzliche Erfolg jetzt in der Retrospektive an? Und was bedeutet Erfolg für Dich an sich?

Genugtuung, im Sinne einer milden Rache gegenüber den Leuten die uns damals abgelehnt haben, verspüre ich eigentlich nicht...

Kein „Ich hab’s auch ohne euch geschafft“-Stinkefinger?

Den hatte ich vielleicht ganz am Anfang, aber ich empfinde es eher als Befriedigung. Es gab damals diese Zeit (vor Grand Hotel, Anm.), als wir dachten: So, das war’s jetzt – Mit KETTCAR und der Musik. Der Erfolg war für uns eine wahnsinnige Befreiung, und so würde ich Erfolg auch bewerten. So prätentiös das auch klingen mag, aber dadurch dass wir mit KETTCAR Platten verkaufen, können wir das Grand Hotel betreiben, und stehen nicht mehr unter dem unmittelbaren Druck verhungern, oder Bananenkisten im Hafen schleppen zu müssen. Es gibt uns die Möglichkeit weiter an einer Idee festzuhalten - Eine Idee, die wir verfolgen. Wir verstehen das Grand Hotel als Independent-Plattform für Künstler, wo Musik hoffentlich so vermarktet wird, wie wir uns das vorstellen. Dass man das hat, und dass man KETTCAR hat, das ist Erfolg.

Stichwort „Grand Hotel.” Ich nehme an dem GHVC geht es gut?

Also in dem Becken in dem wir uns bewegen geht es allen schlecht. Die Musikindustrie ist natürlich am abkacken, und es wird immer schlimmer. Innerhalb dieses Verfalls geht es uns aber noch relativ gut. Die gesamte Musikindustrie durchlebt gerade spannende Zeiten. Was ist mit Mp3? Was ist mit iTunes? Gibt es in drei Jahren überhaupt noch Plattenläden? Ich kann nur sagen, wir werden dann noch da sein. Ganz egal wie Musik vermarktet wird. Wenn es morgen nur noch iTunes gibt, werden wir das eben auch anbieten, und es wird trotzdem irgendwie funktionieren.

Seit „Du Und Wieviel Von Deinen Freunden“ schlägt euch ja eine ungeheure Welle der Sympathie und Identifikation entgegen. Ob Presse, Jung oder Alt: Allerorten Euphorie, und der Typ vom „Balkon Gegenüber“ winkt euch freundlich zu. Ich könnte mir vorstellen, dass mittlerweile sogar KETTCAR-Poster in Kinderzimmern pubertierender Mädchen hängen. Wie geht man damit um? Ist Dir das manchmal zu viel? Ist es Dir auch manchmal unangenehm, oder zu viel Verantwortung?

Also das ist jetzt sicher nicht so unangenehm, dass man es nicht locker wegstecken könnte, oder dass man daran zerbricht oder so. Natürlich nervt es gelegentlich. Wenn jemand das Gefühl hat, man hätte für ihn den Soundtrack zum Leben geschrieben, ihm der Text nahe gegangen ist, dann zerren die Leute auch manchmal an einem. So in der Art: „Erkläre mir noch mal das, und Marcus, bitte erkläre mir noch mal dieses...“, worauf man dann oft einfach gerade keinen Bock hat. Ganz schlimm kann es werden, wenn die Leute weg von den Texten gehen, und wegen des Identifikationspotentials denken, dass ich Antworten für ihr Leben parat hätte. Aber ob jetzt Poster von mir in irgendwelchen Kinderzimmern hängen? -  Da bin ich ja so was von gelassen! Die Wahrheit ist, dass ich darauf keinerlei Einfluss habe. Ich mache die Musik, und was dann geschieht... Nimm z.B. dieses Interview: Du könntest hinterher die allerhöchsten Lobeshymnen singen, oder hier nur so tun als ob, mich heimlich scheiße finden und hinterher verreißen, was auch schon vorgekommen ist. Ich habe keinen Einfluss darauf. Mit der Zeit legt man sich da einfach eine gewisse Gelassenheit zu. Was bleibt einem auch anderes übrig.

Ich mit meinem „Das böse, fiese Leben erdrückt uns - Im Taxi Weinen, und mich am Balkon Gegenüber wiederfinden“-Ding, sehe mich ja oft genötigt, zum seelischen Ausgleich eine rote Clownsnase aufzusetzen, mich vor die Aldi-Sonnenimitationslampe zu setzten, Titanic das Satiremagazin zu lesen und Reggae zu hören, um da nicht zu tief darin zu versinken. Kann mich erinnern bei einem Gig von euch die Ansage vernommen zu haben: „Beim nächsten Lied haben wir ganz, ganz bitter geweint, als wir es geschrieben haben“, was ich sehr erfrischend sarkastisch fand. Suggestivfrage: Was für eine Rolle spielt für Dich die Ironie?

Ironie spielt natürlich eine große Rolle, weil sie dafür sorgt dass man sich selber nicht so wichtig nimmt. Genau darum geht es in „Tränengas Im High-End-Leben“ auf dem neuen Album. Es ist ja vielleicht eine Zwickmühle in der ich mich bewege, aber ich will Songs schreiben die etwas bedeuten, die tief gehen. Ich will einfach keine Songs über „Ha, Ha was für ein schönes Wetter“, oder bescheuerte Songs über die Grabenkämpfe zwischen der einen und der anderen Szene machen. Ich möchte echte Lieder schreiben, die mit der Liebe und dem Leben der Menschen, und natürlich auch mit mir zu tun haben. Wenn man diesen Weg geht, muss man aber auch immer wieder dazu bereit sein sich selber, dieses ach so Bedeutungsschwere zu zertrümmern, bevor es zu ernst wird. Deswegen auch diese Ansage mit dem Weinen – Damit die Leute das alles nicht so ernst nehmen. Um es mal ganz knüppelhart zu sagen: Es sind nur scheiß Pop-Songs! Das ist zwar nichts Wichtiges, aber ich weiß natürlich, dass die Leute sich in den Songs wieder finden, und dass sie ihnen etwas bedeuten. Es waren z.B. ganz schön viele Leute ziemlich enttäuscht, als ich einmal vor „Balkon Gegenüber“ sagte, dass das keine wahre Geschichte sei, ich mir die Scheiße ja nur ausdenke, und dass das nicht ich wäre der den Song vorträgt. Ich propagiere das bewusst, damit das alles nicht so wichtig genommen wird.

Mit den WEAKERTHANS in der „Elks Lodge“, und über Unkenrufe aus der politischen Punk-Ecke

Es muss wohl so um 96 gewesen sein, als ich PROPAGANDHI, eine der politischsten Punk-Bands jener Tage, im Wiener EKH live erlebte. Die Vorgruppe hieß damals BUT ALIVE, der kein anderer vorstand als Marcus Wiebusch himself. Am Bass bei PROPAGANDHI spielte damals ein schmächtiger Mann namens John K. Samson, von dem Wiebusch meint, dass er ihm gegenüber eine geistige Verwandtschaft empfindet. Kein Wunder, wo doch die Geschichte der beiden Männer eine erstaunlich ähnliche ist, und sich ihre Wege immer wieder kreuzten. Samson verließ damals einige Zeit später PROPAGANDHI, um mit den WEAKERTHANS Großes zu vollbringen. „Am meisten musikalische Interaktion habe ich natürlich mit Thees. Wir sitzen uns ja tagtäglich im Büro gemeinsam gegenüber. Um ehrlich zu sein, fühle ich mich aber Samson lyrisch näher, obwohl wir leider selten voneinander hören, was alleine schon an der geographischen Entfernung liegt.“ Genau wie Samson kehrte Wiebusch der politischen Punk-Szene den Rücken, um sich musikalisch subtileren Belangen zuzuwenden. Das brachte ihm allerdings in manchen Fällen den Groll der Szene ein. Von Verrat und Ausverkauf, war dort die Rede.

Du sitzt ja jetzt eher mit John K. Samson und den WEAKERTHANS in der „Elks-Lodge“, als mit PROPAGANDHI bei der brennenden Mülltonne zu stehen.

Ja, das kann man so sagen.

Schlagwort „Punkbewegung“ – Wie stehst Du heute zu ihr, und zur BUT ALIVE-Zeit?

Tja, PROPAGANDHI würde ich da heute eh gepflegt davon ausschließen, weil die konsequenterweise immer härter werden. Was das musikalische an Punk anbelangt, muss ich sagen, dass es mich einfach gelangweilt hat immer die gleiche Scheiße zu machen. Immer Punk machen, immer und immer weiter...

Ich finde es interessant zu sehen, was heute aus Dir und John K. Samson geworden ist.

Ja, das ist nun mal das Leben. John ging weg von PROPAGANDHI und vom Punk, und kann das was er macht wirklich verdammt gut. Ich habe BUT ALIVE und RANTANPLAN hinter mir gelassen, und kann das auch was ich heute mache. Bei vielen Punk-Bands von früher frage ich mich, ob die denn verdammt noch mal nichts erleben, dass sie so starr, mit dieser Inbrunst an Überzeugung, mit diesem kompromisslosen Glauben daran festhalten. Oder liegt es daran, dass sie es einfach nicht anders können? Viele Punkrocker von damals sind heute Versicherungsvertreter, oder Werbetexter bei Opel. Ganz anders ja z.B. REFUSED: Die machen da zuerst so eine Art Old-School-Punk, um dann eines der wegweisendsten Alben aller Zeiten zu machen, und sich anschließend aufzulösen. Hinterher T(I)NC. Ich meine das ist doch wirklich Punk. Nicht wie z.B. THE RAMONES – Immer, und immer das Selbe.

Es gab, und gibt ja immer noch Verratsvorwürfe aus der Punk-Ecke. Auch diesen Emo-Kommerzkalkül-Vorwurf bekommt man des Öfteren zu hören. Was sagst Du dazu? Ärgert Dich das?

Das nervt mich immer nur dann, wenn es wirklich zu dumm wird. Interessanterweise kommen aber gerade aus der Punk-Ecke auch ein paar Vorwürfe, die gar nicht so quatschig sind. Der Vorwurf z.B., dass sich meine Texte nur um mich und mein kleines, beschissenes Seelenleben drehen, den nehme ich durchaus ernst. Ich bekomme manchmal zu hören: „ Denkst Du nicht, dass es da draußen vielleicht noch wichtigere Sachen gibt?“ Ich erkläre dann immer, dass sich ein Ertrinkender immer selbst zuerst rettet – Ich damals einfach nicht anders konnte. Im Grunde ist es aber nichts weiter als eine gnadenlose Schwäche nur über sich selbst zu singen. Diesen Vorwurf kann ich schon stehen lassen. Wirklich zu dumm ist aber, dass diese Leute denken wir würden mit KETTCAR jetzt voll das Geld verdienen, und dass wir schlimmster Kommerz geworden sind. So ein Quatsch! Ich möchte es hier einmal sagen: Wir schreiben erst seit kurzem schwarze Zahlen, können mittlerweile davon leben, aber wir verdienen weniger als Müllmänner. Und diese Leute, die gerade ihr Studium machen, nebenbei Taxi fahren und eigentlich auch schon vom Punk Abschied genommen haben, aber vielleicht noch mit einem Bein, ach so authentisch in der Szene drin sind, die wollen mir erzählen ich würde Kommerz machen? So was kann mich schon aufregen. Man kann auch nicht für immer Punk sein. Man kann sich zwar für immer eine politische Meinung bewahren, und seinen Werten und Idealen treu bleiben – Und das mache ich auch; Ich muss mich aber nicht auf ewig mit einer Szene verbünden, die oft nur noch stumpfe, kulturpolitische Ziele verfolgt, wie z.B.: dass der Eintritt max. 5 € kosten darf, oder dass es das Letzte ist, wenn man auf Tour im Hotel pennt. Diese Szene, aus der ich mit BUT ALIVE ja auch herkomme, thematisiert so etwas sehr hart und dogmatisch. Ich habe das ja jahrelang mitgemacht.

Wie im Fußball - Dahin wo es weh tut

TOMTE-Sänger, Freund und Labelpartner Thees Uhlmann schrieb kürzlich KETTCAR wären die Antithese zu den „The“-Bands. „Ja“,  bestätigt mir Wiebusch, „Weil wir in unseren Gesten und Texten nie cool sein wollen. Ich will dahin, wo diese Bands nicht hingehen – An den Kern der Sache. Dahin wo es weh tut.“  Da diese Redewendung im österreichischen Fußballerjargon aus mehreren Gründen eher unüblich ist, assoziiere ich damit nur das gleichnamige Liedchen einer Berliner Band. Darauf angesprochen zeigt sich mein Gesprächspartner leicht entrüstet. „Nee, nee, Dahin Wo Es Weh Tut kommt vom Fußball“, was mir elegant die Überleitung zu einem meiner Lieblingsthemen ermöglicht.


St.Pauli oder HSV?

St.Pauli natürlich

Gut so. Angenommen KETTCAR wäre eine Fußballmannschaft: Auf welcher Position würdest Du spielen, und wo würdet ihr als Mannschaft stehen?

In der Champions-League. Aber im Ernst, das Grand Hotel hat erst kürzlich ein Turnier veranstaltet.

Was, ihr habt eine eigene Mannschaft?

Ja, und wir veranstalten jetzt jährlich ein Turnier. Wenn ihr wollt könnt ihr nächstes mal auch mitspielen.

Ja bitte. Das Slam hat zwar noch keine Mannschaft, aber ich werde intervenieren eine zu gründen.

Mach das, aber um auf Deine Frage zurückzukommen: Um ganz ehrlich zu sein, sehe ich mich schon als Spielmacher mit Torgefährlichkeit. Etwa so wie im Team KETTCAR. Reimer macht hinten alles dicht, und ich muss vorne die Dinger rein machen. Frank, unser Schlagzeuger steht bezeichnenderweise im Tor.

Die Rhythmusfraktion also in der Abwehr...

Genau. So als Vergleich würde ich sagen, dass ich die Torgefährlichkeit von Ballack habe, und vom technisch spielerischen her... Marcelinho! Ich bin der Marcelinho des Indierocks... Schreib das aber ja nicht!

Doch, klar schreib ich das.

Ach, wie das klingt: „Der Marcelinho des Indierocks“ – Bescheuert! Ist aber ein gutes Schlusswort.

Gregor Riefler
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Apparently, making fun of black fat women is wrong. Making fun of fat white guys is right."

Nichtsahnend ließen wir uns zu einer dreiwöchigen Chinatour breitschlagen...

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Nothing but a dream...

"Es gab einige Konflikte, aber es waren zu viele und wir waren zu benebelt, um alle aufzuzählen.“

"Eigentlich haben wir uns aber erst mal mehr mit Lärmschutzmatten geprügelt und uns in Kühlschränken durch den Keller gefetzt, als Musik zu machen."
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