Hayao Miyazakis Klassiker hat uns auch heute noch sehr viel zu sagen, umso schöner ist daher das Wiedersehen mit der einfühlsamen Heldin.
"Ich verstehe sehr gut, wie sich ein Ohmu fühlt. Von Hass getrieben tötet er, doch dann muss er weinen." Prinzessin Nausicaä
In diesem Jahr feiert das Studio Ghibli, verantwortlich für Meilensteine wie "Chihiros Reise ins Zauberland" (2001) oder "Das wandelnde Schloss" (2004), den 40. Geburtstag – wesentlich in Gang gesetzt wurde die Erfolgsgeschichte 1984 durch die Verfilmung von "Nausicaä aus dem Tal der Winde" aus der Feder von Mitbegründer Hayao Miyazaki, seines Zeichens lebende Legende der Animationsbranche. Der Zeitpunkt für eine Neuveröffentlichung der Manga-Vorlage, welche zwischen 1982 und 1994 erschien und sich deutlich von der Leinwandfassung unterscheidet, ist also perfekt, denn die bisherigen Auflagen von 2001/02 und 2010/11 sind seit Ewigkeiten vergriffen.
Das Comeback des Klassikers, der wie viele andere Werke Miyazakis den Umgang der Menschen sowohl mit der Umwelt als auch untereinander behandelt, fällt entsprechend glanzvoll aus: In vier Hardcover-Doppelbänden (samt optionalem Schuber) dürfen wir am ebenso episch wie berührend erzählten Ringen von Prinzessin Nausicaä um eine bessere Zukunft teilhaben. Als einziges seiner elf Kinder, das überlebt hat, ist sie dazu auserkoren, die Nachfolge von Jiru als Häuptling des Tals der Winde anzutreten, doch hat sich längst der Schatten des Krieges über das kleine Volk gelegt, denn es soll im Gefolge der Truppen von König Wu in die Schlacht ziehen.

Schon bald gerät Nausicaä zwischen die Fronten, denn die Söhne des Herrschers von Torumekia intrigieren gegen Prinzessin Kushana, welche die Streitmacht anführt und vom feindlichen Fürstentum Doruk in eine Falle gelockt wird. Die torumekischen Soldaten fallen massenhaft, als unzählige Ohmus angreifen – mit diesen Rieseninsekten, die durch das Meer der Fäulnis streifen, kann unsere Heldin jedoch kommunizieren, was sie für die Mächtigen beider Seiten interessant und somit zur potenziellen Bedrohung macht. Handelt es sich bei ihr gar um jene Heilsbringerin im blauen Gewand, von der alte Prophezeiungen berichten? Nausicaä wiederum schlägt sich mit eine anderen Legende herum, nämlich jener der großen Flut, welche einst Tod und Verderben über die Welt brachte.
Womöglich könnte sich diese wiederholen, zumindest scheint die sich ausbreitende Verseuchung der Landstriche, die den Menschen durch giftige Sporen das Land zum Bewirtschaften und die Luft zum Atmen raubt, darauf hinzudeuten. Um zu verhindern, dass noch gefährlichere, durch die Pervertierung der Natur entstandene Waffen den Untergang herbeiführen, bahnt sich die ebenso tapfere wie eigenwillige Nausicaä ihren Weg quer durch die Fronten und berührt dabei die Herzen von Freund und Feind gleichermaßen. Das macht jede Seite zu einem ungemein intensiven Erlebnis, das den Grausamkeiten sinnloser Kriege Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegenstellt und viele Motive enthält, die uns in Hayao Miyazakis Schaffen immer wieder begegnen.
Über die zeitlose Klasse der Erzählung hinaus werden aufmerksame Studierende der japanischen Popkultur auch den großen Einfluss entdecken, den sie auf nachfolgende Kreative ausübte: So haben sich beispielsweise die Macher von "The Legend of Zelda" für die Chocobos offenkundig von den Reittieren der Menschen aus dem Tal der Winde inspirieren lassen, während wiederum das Schicksal von Prinzessin Kushanas Mutter allen, die die familiäre Hintergrundgeschichte von Tabitha aus "Familiar of Zero" kennen, ein Déjá-vu bescheren dürfte. Die insgesamt vier Bände der deutschen Übersetzung gehören jedenfalls ohne Zweifel in jede gutsortierte Bibliothek mit dem Besten, was die Neunte Kunst zu bieten hat.