
Trotz seines nun schon gesegneten Alters von 75 Jahren greift Paolo Eleuteri Serpieri immer noch fleißig zum Stift, um sowohl seinem Portfolio neue grafische Glanztaten hinzuzufügen als auch bei Gelegenheit moralinsauren Sittenwächtern noch mehr Zornesröte ins Gesicht zu treiben. Wesentlich mit solcher Erregung (in zweierlei Hinsicht) verbunden ist Drunna, jene leichtbekleidete Dame, die 1985 in "Morbus Gravis" debütierte und nach diversen entschärften Fassungen dank Schreiber & Leser
seit 2010 endlich unzensiert und im mustergültigen Hardcover-Einband erscheint.
Nach dem Album "Klon", im italienischen Original 2003 erschienen (und im
vierten Band der deutschen Reihe abgedruckt), herrschte allerdings viele Jahre Funkstille, was die zwischen grafischem Genie und realitätsveränderndem Wahnsinn pendelnde Protagonistin betraf. Bis der Meister mit
"Anima" 2016 einen neuen Band vorlegte, der allerdings die Nummerierung null erhielt und von einer Schönheit erzählte, die Drunna auffällig ähnelte und durch eine vorzeitlichen Welt streifte. Die "echte" Fortsetzung, die Serpieri nun mit "Die mit dem Wind kam" ("Venuta dal Vanto") vorgelegt hat, knüpft hier mit einer äußerst cleveren Erklärung an, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll.
Auch wenn damit zumindest eine Frage beantwortet wird, gibt es noch jede Menge weitere, deren Auflösung Drunna ebenso entgegenfiebert wie die Leser. Dank des Comebacks von Doc, dem wohlbekannten Alter Ego ihres Schöpfers, gibt es neue Einsichten in die Beschaffenheit jener Welt, in welcher der Unterschied zwischen Menschen und Replikanten anscheinend nur in spinnenartigen, in den Körper eingepflanzten Kreaturen besteht. Offenbar haben die Maschinen die reale Welt dupliziert und bevölkern sie nun mit Kopien, doch wenn dem so ist – wo stecken dann die Originale?
Titel, Cover und erster Teil dieses Bandes lassen die Vermutung aufkommen, dass sich Serpieri seines im Wilden Westen angesiedelten Frühwerks erinnert hat, das praktischerweise aktuell ebenfalls bei S&L erscheint. Inmitten all der erneut gestifteten Verwirrung, was nun Realität oder von Maschinen kreierte Illusion ist, treten die Konturen der Story aber deutlich detaillierter zutage als zuletzt. Besagtes Prädikat gilt natürlich uneingeschränkt für das wie immer superbe Artwork, das diesmal abgesehen vom standardmäßig blanken Busen geradezu züchtig daherkommt. Oder fällt das gar unter Altersmilde (gegenüber Jugendschützern)?