Ambivalenter könnte eine Publikumszusammenkunft nicht sein. Während sich vor dem Veranstaltungsgelände des gigantischen Wiesbadener Schlachthof-Areals ein schmackhaftes Street Food-Festival samt dazugehöriger Hipsterparade tummelt, trägt der Großteil der Fans von SUNN O))) obligatorisch Schwarz in Ehren. Beinahe elitär kommt das Publikum an diesem Abend daher, denn vom okkulten Anzugträger bis zum volltätowierten Punk mit streng limitiertem Bandshirt der unbekannten rumänischen Crustcore-Band ist an diesem Abend jeder vertreten, der sich auf eine ohrenbetäubende schwarze Messe einzustellen vermag und dem sehnsüchtig erwarteten Termin seit Wochen entgegenfiebert. Tatsächlich ist das Live-Dargebotene der US-Drone-Doom-Götter wieder ein maximal entrücktes Fest vom eigenen Dasein und eine körperliche Erfahrung abseits konventioneller Konzertroutine.
Das halbstündige Vorprogramm bestreitet das kanadische Trio von BIG ‡ BRAVE, die mit ihrem Slowdown-Doom ein tiefe Verneigung vor Michael Gira und seinen SWANS vornehmen. Vor allem Sängerin Robin Wattie überzeugt mit elegantem Abendkleid und schrillen, eskapistischen Schreien. Ihre nachvollziehbaren aber durchaus komplexen Klangskulpturen geben einen Vorgeschmack auf die anstehende Postapokalypse – selbstredend, dass diese Performance nur ein kleines Bonbon für das nachfolgende Ereignis werden wird, das noch lange in den Köpfen aller Anwesenden rotieren wird. Nach kurzer Umbaupause mit obligatorisch-opulenter Verstärkerwand und BLACK SABBATH-Intro wird erst einmal der gesamte Saal eingeräuchert. Das Bühnenlicht wird in Rot getaucht. Sämtliche Orientierung soll verloren gehen – in den ersten Reihen vor der Bühne ist das am intensivsten zu spüren. Anschließend betritt Frontpriester und Waldgeist Attila Csihar die Bühne und beginnt seine Predigt mit einem zehnminütigen A capella-Mantra (was auch immer dieses zum Inhalt hat!). Dieses programmatische Auftreten erreicht nach einigen Minuten bereits die nervenzerfetzende Atmosphäre, auf die alle Drone-Jünger an diesem Abend gewartet haben.
Denn nachdem vier weitere Kuttenträger die Stage entern und die ersten tiefergestimmten Frequenzakkorde erklingen, beginnt das Eintauchen in eine monolithische Wall of Sound, die in Mark und Bein übergeht. In den nun dargebotenen zwei Stunden dieses abstrakten Mindfucks passiert nicht wirklich viel: Zeitlupenartige Bewegungen, infernalischer Lärm und eine Akzeptanz des Nichts, die im puren Nihilismus seine Konzeption verortet, sein Publikum hingegen mit geborgener Wärme begegnet. Viele schließen zeremoniell die Augen, genießen den Rausch und starren fassungslos auf die Bühne, die nur noch aus Nebel, Kutten und Symbolik besteht. Es ist wie eine Rückbesinnung des Embryos zurück in den Mutterleib. Eine Flucht in monochrome Dunkelheit. Diese Performance spendet Licht, obwohl sie aus Schatten besteht. Dieses „Ding auf der Bühne“ verändert das eigene Bewusstsein, es zerschlägt Konventionen und ist kontemporäre Avantgarde und Subkultur in einem. SUNN O))) live zu sehen ist kein gottverdammtes Happening. SUNN O))) sind eine transzendente Erfahrung.
# # # Text: Dimitrios Charistes. Fotos: Philipp Eisert # # #