Ein Streit mit seiner Freundin verleitet Simon während eines Aufenthalts in China zu einer Entscheidung mit Folgen.
Ein eher harmloser Streit eskaliert und stellt die Beziehung zwischen Simon und seiner Freundin Ani infrage. Ist Simon wirklich der spießige Deutsche, der sich zwar für die chinesische Geschichte begeistern kann, bei vielen anderen Dingen jedoch eher altbacken und konservativ daherkommt? Der gemeinsame Urlaub in der pulsierenden Metropole Shanghai ist bestens dazu geeignet, dass Simon seiner Freundin das Gegenteil beweisen kann. In einer verruchten Gegend der Stadt entscheidet er sich kurz entschlossen dazu, seine Haut mit einem außergewöhnlichen Tattoo verzieren zu lassen.
Es dauert nahezu die ganze Nacht, bis das gewaltige Bild eines chinesischen Drachen einen Großteil seines Körpers bedeckt. Ein Symbol des Glücks, wie der Künstler seinem Modell versichert. Doch die Euphorie über das neue Tattoo ist nur von kurzer Dauer. Ani scheint kurz nach seiner Rückkehr unter einer seltsamen Krankheit zu leiden, die sie schwach und antriebslos erscheinen lässt. Als man aufgrund des schlechten Gesundheitszustands und eines verpassten Flugs gezwungen ist einen entfernten Bekannten um Asyl zu bitten, nehmen die Ereignisse einen fatalen Lauf. Noch ahnt Simon nicht, was seine Geliebte binnen Stunden dahinsiechen lässt.
Die "Midnight Tales" bleiben ihrem eingeschlagenen Weg treu, dem Publikum ein möglichst breit gefächertes Spektrum an Geschichten zu bieten, die sich aus den verschiedensten Genres speisen und sich am ehesten unter dem Banner "unheimlich und mysteriös" vereinen lassen. Möchte man "Das Glücksdrachen-Tattoo" ein Etikett aufdrücken, so dürfte sicherlich "Horror" gut passen. Im vorliegenden Fall wird ein Archetyp des Horrors aufgegriffen: Was geschieht mit dem menschlichen Körper nach einer freiwilligen oder auch ungewollten Veränderung oder Beeinträchtigung? Eine Überlegung, bei der auch die Tattookunst bereits des Öfteren Einzug in Literatur und Film gehalten hat. So gestaltet sich der Auftakt ins Geschehen durchaus ansprechend und man ist gespannt, wohin die Reise wohl gehen wird, nachdem erst einmal die Nadel zum Glühen gebracht wurde und Simon seine Haut für ein großzügiges Gemälde zur Verfügung gestellt hat.
Die anfängliche Spannung macht jedoch Ernüchterung Platz, denn schon recht bald wird offensichtlich in welche Richtung der Hase läuft. In der Vergangenheit gelang es den durchweg starken Folgen der "Midnight Tales" am Ende mit einem unerwarteten Twist die Handlung noch einmal in eine komplett andere Richtung zu reißen. Eine nette Idee, die sich zu einem der Markenzeichen der Reihe entwickelt hat, hier jedoch leider keine Anwendung findet. So wird die anfängliche Spannung schnell auf ein überschaubares Niveau heruntergedampft und das Finale der Story kommt letztendlich doch wenig überraschend daher.
Oft waren es gerade die unbekümmerten und stets natürlichen Dialoge, die die "Midnight Tales" bereichert haben, leider ist auch dies hier nur bedingt der Fall, vieles wirkt verkrampft und bemüht. Die Leichtigkeit vorheriger Episoden scheint verflogen. Der Kreis der Protagonisten beschränkt sich wie gewohnt auf wenige Akteure, die sich bisher immer durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit auszeichneten. Was auf Simon und Ani auch hier in weiten Teilen zutrifft, bleibt leider bei der Charakterzeichnung von Bailong nahezu komplett auf der Strecke. Auftreten und Motivation für sein Handeln erscheinen unglaubwürdig und bemüht, hier wäre sicherlich mehr drin gewesen.
Es gelingt den Produzenten, die Atmosphäre der chinesischen Großstadt geschickt einzufangen und ein im Fluss befindliches Wechselspiel zwischen Moderne und Legenden der Vergangenheit zu vermitteln. Die Soundeffekte sind gut gewählt und fügen sich stimmig in die Handlung ein und schaffen zusätzlichen Raum für die Imagination des Hörers. Selbiges gilt für die verwendeten Musikstücke, die schon durch die bereits bekannten Stücke aus vorherigen Episoden auf eine akustische Konfrontation mit dem Unbekannten einstimmen.
Im Wesentlichen wird "Das Glücksdrachen-Tattoo" von drei Stimmen maßgeblich gestaltet. Gerrit Schmidt-Foß kann als gelegentlich leichtsinniger und manchmal naiv anmutender Tourist auf fremdem Terrain überzeugen. Julia Kaufmann schlüpft in die Rolle seiner Lebensgefährtin, wobei es ihr trotz der Kürze des Hörspiels gelingt, die Widersprüche zu ihrem Partner hervorzuarbeiten. Martin Gruber komplettiert das Trio und sorgt mit seiner stimmlichen Leistung für den richtigen Drive, der die Figurenkonstellation alsbald hochgradig toxisch werden lässt. Abgerundet wird der Cast durch Thomas Nero Wolff, Annette Strasser und Marios Gavrilis. Inhaltlich bleibt "Das Glückdrachen-Tattoo" leider hinter den bisherigen Veröffentlichungen zurück, bietet aber immer noch Gänsehaut-Unterhaltung auf solidem Niveau.