Sünden der Vergangenheit tendieren dazu, einen irgendwann einzuholen. In Andys Fall heißt diese Noriko und ist nach einem beispiellosen Martyrium nicht gut auf sie zu sprechen.
Für jemanden, der mit ewigem Leben gesegnet (oder im vorliegenden Fall eher verflucht) ist, sind drei Jahre ein Klacks und relativ gesehen nicht viel mehr als ein Wimpernschlag. Normalsterblichen Anhängern der Neunten Kunst können sie jedoch quälend lange erscheinen, wenn man auf die Fortsetzung einer guten Geschichte wartet. "The Old Guard", im US-Original wie auch in der deutschen Übersetzung 2017 erschienen, machte daher einiges an Geduld erforderlich, aber es ist auch viel passiert in der Zwischenzeit. Netflix schnappte sich die Filmrechte und brachte den Stoff aus der Feder von Greg Rucka und Zeichner Leandro Fernández diesen Sommer auf den Bildschirm. Zeitlich darauf abgestimmt kam kurz vor dessen Premiere das finale Heft der wiederum fünfteiligen Miniserie "Chapter Two: Force Multiplied" heraus.
Via Splitter ist das gute Stück auch diesmal nur mit minimaler Verzögerung in die hoffentlich zahlreichen Hände derer gelangt, die das weitere Schicksal von Andromache von Skythien und ihren langlebigen Kämpferkollegen weiterverfolgen wollen. Während im Auftaktband ein skrupelloser Geschäftsmann hinter seinem Geheimnis her war, droht dem kürzlich um die (in jeder Hinsicht) junge Nile Freeman erweiterten Team Gefahr sozusagen aus den eigenen Reihen. Mit Noriko ist nämlich unversehens eine alte Bekannte von Anführerin Andy aufgetaucht, die vor einigen Jahrhunderten auf dem Ozean über Bord ging. "Dank" Unsterblichkeit musste sie immer und immer wieder ertrinken, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen bekam, entsprechend sauer ist sie auf ihre einstige Gefährtin. Doch Noriko wandelt auch auf völlig anderen Pfaden, denn sie begreift ihre Existenz als Mission, den Menschen zu schaden statt zu helfen.
Die Einführung einer neuen Variablen in die Gleichung ist ein gerne genutztes erzählerisches Vehikel, um scheinbar Unverrückbares zu hinterfragen. Genau das geschieht in Form von Nile, die sich erst in ihr neues Dasein einfinden muss und (noch) nicht die Last der Jahrtausende und damit einhergehend jede Menge Sünden schultern muss. Die Frage der Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, die mit ewigem Leben einhergeht, wird auf diesem Wege gefühlvoll abgearbeitet und sorgt dafür, dass wir es nicht mit lediglich im Kugelhagel herumspazierenden Stehaufmännchen zu tun haben, wofür die Thematik "unsterblicher Kämpfer" ja auch sorgen könnte (und kann, wie wir aus der Popkultur wissen). Im Verbund mit dem erneut gekonnt aufspielenden Artwork-Meister Leandro Fernández bürgt Mr. Rucka aber für gewohnte Qualität. Fragt sich bloß, ob für den angekündigten Abschluss wieder drei Jahre Wartezeit nötig sind!