Schon seit einigen Jahren zeichnet sich in der Newschool- oder auch Post-Hardcore-Szene ein Trend ab, den man entweder nur leidenschaftlich hassen oder lieben kann: Die Symbiose von klassischem Mosh, filigranen Gitarren, bitterbösem Gegrunze mit Samples, Loops, Keyboards und cleanen Vocals. Was ist da los? Wie sieht das live aus und vor allem: Wie hört sich das an? Meine Fragen wurden am 22.12.2013 im Kölner Underground beantwortet. Dort spielten als Headliner THE WORD ALIVE, supportet von I SEE STARS und DAYSHELL.
Mal wieder ist es der gute Backs von Positive Records, der uns die drei Bands präsentiert. Den Anfang machen DAYSHELL aus dem sonnigen Kalifornien. Die Jungs bezeichnen ihren Sound als "Fresh Metal". Nun gut, ich mache mir selbst ein Bild davon, wie fresh die sind. Dass sie große Fans von INCUBUS und DEFTONES sind, hört man sofort. Gar nicht mal schlechter Gesang, knifflige Drums und eingängige Gitarren lockern das Publikum und sorgen für erste Erwärmungen im ohnehin frühlingshaft temperierten Köln. Von Electro-Experimenten hört und sieht man noch nichts. Wir sollen wohl schonend in den geisterscheidenden Sound eingeführt werden.
Also übergeben DAYSHELL die Bühne an die sechs Jungs von I SEE STARS aus Detroit. Die haben bereits seit Monaten eine breite Fangemeinde angesammelt – ob das wohl auch am gutaussehenden Frontmann liegt? Legt man Wert auf die akustischen Qualitäten, wird man aber auch mehr als zufriedenstellend bedient. I SEE STARS hauen erst mal voll vor die Discoglocke. Man blickt an sich herunter und fragt sich, warum man nicht die durchsichtigen Plateaustiefel mit Goldfisch im Absatz angezogen hat, als die ersten wummernden Bässe das Kölner Underground erzittern lassen. Kirmestechno bläst uns durch die Ohren. Doch kaum hat sich die Menge in den treibenden Beat rhythmisch hüpfend eingefunden, zershreddert ein Drumgewitter das Saturday Night Fever und bringt innerhalb weniger Sekunden alle Köpfe zum Moshen.
Wie unglaublich gut zwei so weit voneinander entfernte Musikarten miteinander funktionieren können, wird mir jetzt, als ich live mitten drin stehe, erst bewusst. Ich befinde mich in einer gigantischen Raveparty, die einfach Grenzen sprengt. Sänger und Shouter liefern ein stimmiges Paket, gleichzeitig wird am Keyboard gespielt und dann immer wieder brechen Gitarren, Bässe und Drums durch den Dancebeat, bis hin zu einem semiprofessionellen Circlepit und einer Wall of Death. Dass beides nicht bilderbuchmäßig abläuft, entschuldige ich auch mit dem Alter der Konzertbesucher, das man im Teenagerbereich ansiedeln darf.
Besonders sympathisch finde ich, dass die Band zwischen den Songs immer wieder zeigt, wie sehr sie sich über den Support der Fans freut. Es werden nette Dankesreden rausgehauen und die Stimmung bleibt damit auf einem konstant positiven Level. Nachdem das neue Album "New Demons" und ältere Highlights wie etwa "Filfth Friends Unite" abgerissen sind, verabschieden sich erschöpfte, aber glückliche Senkrechtstarter. Bühne frei für THE WORD ALIVE. Böse Zungen nannten sie einst "Tarzan-Core", was an der langen Dreadlock-Mähne von Frontmann Tyler Smith gelegen hat. Inzwischen trägt er einen feschen Haarschnitt, am bolzigen Sound hat sich – zum Glück – nichts geändert.
Die Band aus Phoenix, Arizona ist bekannt für Abrissbirnen, die mit dramatischen Keyboardmelodien und frickeligen Gitarren daherkommen. Die weiblichen Fans freuen sich über die Gesangsparts und die dahinplätschernden Melodien. Aber natürlich hält die Idylle nicht lange vor. Nach dem nächstbesten Break wird wieder gegrunzt und getrommelt, was das Zeug hält. THE WORD ALIVE präsentieren sich souverän und routiniert, gleichzeitig aber mit viel Spaß an der Sache. Als besonderes Leckerchen spielen sie ihren Song "2012", der vom Publikum lautstark gefeiert wird. Alle haben Spaß, alle sind happy. So ist das eben bei einem Rave.
Ich komme zurück auf die eingangs aufgestellte Behauptung, dass man diese Soundart entweder nur hassen oder lieben kann – und möchte mich ganz klar als große Liebhaberin des Genres deklarieren, ich stehe dazu! Szene-Polizisten und HC-Politiker würdigen Elektrocore nicht mal mit einem Naserümpfen, was ich absolut verstehen kann. Wer seine Wurzeln in ernsthaftem und vielleicht sogar politisch motiviertem Hardcore hat, nimmt die aktuellen Spielereien nicht ernst. Daran erfreuen darf man sich dennoch.
# # # Text: Silke Händeler, Fotos: Thorsten Kühle # # #