Glaubt man diesem Band, dann bekommen Freunde der wohlgesitteten Gänsehaut in Londoner Bars sehr gute Geschichten zu hören.
Wer im Vereinigten Königreich über die gesetzlich festgelegte Sperrstunde um 23 Uhr hinaus trinken wollte, musste sich dazu in Clubs begeben und in diesen Mitglied sein. Nicht nur von dieser bis zu einer Änderung im Jahr 2005 bestehenden Eigenheit der britischen Gesetzgebung erfahrenen wir in diesem Band, sondern bekommen damit auch die Klammer präsentiert, welche die vier darin versammelten Kurzgeschichten verbindet. Das Diogenes ist nämlich eine dieser Anlaufstellen für Nachtschwärmer und Durstige aller Couleur – beziehungsweise war es, denn der uns unbekannte Ich-Erzähler, bei dem es sich gut und gerne auch um Autor Neil Gaiman handeln könnte (schließlich ist dem Titel nach ja vieles möglich), trauert dem inzwischen geschlossenen Lokal spürbar nach.
Die vier mit verschiedenen Gästen einhergehenden Storys, die 2016 als vierteilige TV-Miniserie umgesetzt wurden, finden sich hier wiederum von Mr. Gaimans einstigen "Sandman"- und "Death"-Kreativpartner Mark Buckingham als Graphic Novel umgesetzt, welche im Original 2018 erschien und hierzulande (nach
"Eine Studie in Smaragdgrün") den zweiten Band der "Neil Gaiman Bibliothek" aus dem Dantes Verlag darstellt. Die thematische Vielfalt reicht von einer mysteriösen Geschlechtskrankheit, die ausgerechnet einen enthaltsamen Bankangestellten befällt ("Fremdartige Teile"), und einer alten, tatsächlich von Fleischeslust im wahrsten Sinne des Wortes beherrschten Dame ("Esser und Fütterer") über ein offenbar ewig junges Aktmodell im London der "Swinging Sixties" und weit darüber hinaus ("Auf das Mädchen hoffend") bis hin zum unheimlichen Haus, vor dessen Tür man besser kehrtmachen sollte ("Closing Time").
Wie es sich für eine Edelfeder vom Format Neil Gaimans handelt, gibt es hier keinen plakativen Horror und einen geradezu spartanischen Umgang mit Blut, der Grusel schleicht sich vielmehr über scheinbar Alltägliches und nur auf den ersten Blick Nebensächliches ins Leben der wahrlich nicht beneidenswerten Protagonisten. Die Prämisse von Geschichten, die mit Gästen eines Lokals in Verbindung stehen, erinnert wohltuend an die 2008er Inkarnation des DC-Klassikers
"House of Mystery", der Mark Buckingham ebenfalls sein zeichnerisches Talent angedeihen ließ. Hie und da hätten sich Panels vielleicht großzügiger anlegen lassen können, um das Verhältnis von viel Text zu oftmals vielen kleinen Bildern aufzulockern, aber dieser subjektive Eindruck ist möglicherweise (!) nur den Lesegewohnheiten des Rezensenten geschuldet.