Welches Geheimnis versucht Effi Grant Munro vor ihrem Mann zu verbergen? Was verbindet sie mit dem lange Zeit leer stehenden Cottage in der Nachbarschaft?
Einmal mehr muss sich Sherlock Holmes seinem größten Feind stellen, der Langeweile. Um ihr nicht vollkommen ausgeliefert zu sein, lässt er sich von seinem geschätzten Freund Dr. Watson zu so etwas Profanem wie einen Spaziergang überreden und verpasst so beinahe prompt die Chance einen neuen Fall zu übernehmen. Durch einen glücklichen Zufall kehrt der potentielle Klient in die Baker Street 221b zurück und Holmes bekommt doch noch die Gelegenheit, seinen Denkapparat auf Touren zu bringen, auch wenn die neuen Ermittlungen wenig anspruchsvoll zu sein scheinen.
Schon nach den ersten Schilderungen seines neuen Auftraggebers scheint Londons größter Detektiv eine erste Vermutung zu haben, was hinter den seltsamen Vorkommnissen stecken könnte, von denen ihm Mr. Grant Munro berichtet. Scheinbar deutet alles darauf hin, das Mrs. Grant Munro nicht die treusorgende Ehefrau ist, die sie zu sein vorgibt. Doch nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick scheint, auch ein Genie wie Sherlock Holmes erkennt, dass nicht jede seiner analytischen Überlegungen auch zwangsläufig die richtige sein muss.
"Das gelbe Gesicht" ist erneut eine Geschichte aus dem Originalkanon von Sir Arthur Conan Doyle, auch wenn sie sicherlich nicht zu den bekanntesten Geschichten des Meisterdetektivs gehört, so darf man sie jedoch getrost zu einer der innovativsten zählen. Diesen Umstand verdankt sie gleich mehreren Gründen. Da wäre zum einen das Novum, dass sich der beratende Detektiv irrt und falsche Schlussfolgerungen anstellt, was in den 60 Geschichten Doyles nur äußerst selten geschieht.
Doch damit nicht genug, der geistige Vater des Spürhunds aus der Baker Street greift in dieser Geschichte Themen auf, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als äußerst brisant galten. Schon das vordergründig genutzte Tabu des Ehebruchs war für das ausgehende 19. Jahrhundert kein Handlungselement, das sich für den Zweck der Unterhaltung eignete. Noch viel dramatischer dürften jedoch die Reaktionen ausgefallen sein, wenn man sich dem Kern der Geschichte zuwendet, einer Beziehung von Partnern verschiedener Hautfarben. Hier hat der Autor tatsächlich Mut bewiesen.
Eingebettet werden diese durchaus gesellschaftskritischen Ansichten in einen klassischen Fall von Sherlock Holmes und seinem Chronisten Dr. Watson. Die Ermittlungen nehmen wie so häufig ihren Anfang in den Räumlichkeiten der Baker Street. Die vom neuen Klienten geschilderten Ereignisse, die ihn schließlich in das Wohnzimmer des großen Detektivs getrieben haben, weisen wie des Öfteren einen mysteriösen oder seltsamen Charakter auf. Wer oder was verbirgt sich in dem abweisenden Cottage? Wer sind die neuen Bewohner? Und zuletzt natürlich die alles überschattende Frage, was es mit dem gelben Gesicht und dem merkwürdigen Verhalten der Ehefrau auf sich hat?
Ein großer Teil der Handlung wird im gemeinsamen Apartment von Holmes und Watson bestritten, während Mr. Grant Munros Erlebnisse in Rückblenden erzählt werden und den Fall zunehmend mysteriöser erscheinen lässt. Ein erheblicher Teil der Spannung zieht sich aus dem Rätsel, dass das Verhalten von Mrs. Grant Munro aufgibt, das fast bis zum Schluss aufrechterhalten werden lassen. Einen besonderen Reiz übt natürlich die Fehlleistung von Sherlock Holmes und dessen Umgang damit auf den Hörer aus und bietet eine willkommene Abwechslung zu anderen Abenteuern des berühmten Ermittlers. Ein guter Fall, der sich von der Masse der Sherlock Holmes-Geschichten auf erfreuliche Art und Weise abhebt.
Die musikalische Untermalung erfolgt über weite Strecken im Hintergrund und begleitet die Handlung. Dabei wechseln sich heitere und dramatische Passagen ab, die bei besonders relevanten und spannenden Momenten in den Vordergrund treten. Soundeffekte finden auch in diesem Hörspiel der Reihe nur dezent, und wenn es erforderlich scheint, ihren Einsatz. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Dialogen der Figuren. Diese sind flüssig und können den Hörer überzeugen. Ein Blick ins Booklet zeigt, dass "Das gelbe Gesicht" mit gerade einmal acht Sprechern auskommt. Das ist vollkommen ausreichend, um das Geheimnis um das unheimliche Cottage und seine seltsame Bewohner gekonnt in Szene zu setzen.
Joachim Tennstedt glänzt einmal mehr in einer ruhigen und geradezu sympathischen Interpretation des Sherlock Holmes. Es macht großen Spaß ihm bei seinen Ausführungen zu folgen und seinen Thesen zu den Vorkommnissen rund um das gelbe Gesicht zu lauschen. Einzig in jenen Moment, in dem Sherlock Holmes bewusst wird, dass seine Deduktion in eine falsche Richtung führt, hätte ich mir ein wenig mehr Ausdruck und Gefühl in seiner Stimme gewünscht.
Detlef Bierstedt agiert unaufgeregt und souverän als Dr. Watson und ist in diesem Fall die geeignete Ergänzung zu Tennstedts Auftritt als Holmes. Dazu kommen bekannte Stimmen wie Regina Lemnitz und Cathleen Gawlich, die ebenfalls auf dem gewohnt hohem Niveau der Titania-Produktionen agieren. Eine spannende Umsetzung einer weniger bekannten Story aus dem Repertoire von Londons größten Detektiv. Empfehlenswert.