Zwei Wochen Kinovergnügen neigen sich ihrem Ende zu. Nach einigen letzten Highlights ist die Viennale 09 Geschichte.
Die Viennale ist in den letzten Jahren zu einem Geheimtipp in der Festivalszene geworden. Das zeigen die vermehrten Premieren und die Berichterstattung in der internationalen Presse, wie Festivaldirektor Hans Hurch in der abschließenden Pressekonferenz bemerkte. Vor allem die Dokumentarfilme waren es wieder einmal, die in Wien auf großes Publikumsinteresse stießen. Im regulären Kinobetrieb, aber auch im Fernsehen würden sie oft zu kurz kommen, mit der Viennale gibt es eine Plattform um hochklassige Dokumentarfilme einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Einer der dieses Jahr ganz besonders entzückt hat und auf der Viennale seine Weltpremiere feiern durfte, war "Im Bazar der Geschlechter" von Sudabeh Mortezai. Die iranisch-österreichische Produktion beschäftigt sich mit dem Tabuthema Zeitehe. Dies ist eine schiitische Praxis, bei der ein Mann und eine Frau eine vor Gott und dem Gesetz anerkannte Ehe eingehen können, die von einer halben Stunde bis 99 Jahre dauern kann. Von Seiten des Klerus wird dieses System befürwortet und propagiert. In der Bevölkerung genießt es aber einen zwielichtigen Ruf, steht die Sigheh doch in Verdacht als legalisierte Form der Prostitution missbraucht zu werden. Ermöglicht wird dies durch die verpflichtende Zahlung eines Brautgeldes durch den Bräutigam, wie dies auch bei regulären unbeschränkten Ehen möglich ist. Rechte und Pflichten sind ja im Prinzip identisch. Bleibt nur die schwierige Frage, was mit Kindern aus diesen Beziehungen geschieht. Denn in der Islamischen Republik Iran darf bis heute nur der Vater einen Ausweis für seinen Nachwuchs beantragen. Der ist aber oftmals schon über alle Berge wenn das Kind aus dieser legalen Verbindung das Licht der Welt erblickt.
Abseits der legalistischen Fragen die sich rund um dieses Systems entzünden, wie etwa die Rechtmäßigkeit der Polygamie, oder die Bedingungen, die für eine Scheidung erfüllt sein müssen, zeigt der Film die Klüfte in der iranischen Gesellschaft, die voll von Paradoxien und Doppelmoral zu sein scheint. Insofern kann man dem alten Mullah nicht ganz zustimmen, der zu Beginn des Films grinsend behauptet "Der Islam hat an alles gedacht". Trotz, oder gerade wegen all der Ungereimtheiten kann man im "Bazar der Geschlechter" mit den Protagonisten schmunzeln oder auch herzhaft über ihre Naivität und Weltfremdheit lachen. Führt man sich vor Augen, dass eine Vielzahl der im Film getätigten Aussagen den Zorn des repressiven Regimes auf sich ziehen könnten, ist das Entstehen und die öffentliche Vorführung dieses kleinen Juwels des Dokumentarfilms umso beachtlicher.
Insgesamt war die 47. Viennale ein voller Erfolg. In den letzten 14 Tagen kamen nach ersten Kalkulationen rund 94.800 Besucher in die fünf Festivalkinos. 2.700 mehr als im Vorjahr. Auch die Auslastung der Vorstellungen stieg trotz eines zusätzlichen Festivaltages und des veränderten Termins von 76,8 auf 79,6 Prozent. 124 von insgesamt 345 Vorstellungen waren ausverkauft. Es sind vor allem die großen Namen, die die Kassen klingeln lassen. Einer davon war dieses Jahr Werner Herzog, der gleich mit zwei Filmen im Programm vertreten war. Während sein Adaption von Abel Ferraras Kultthriller "Bad Lieutanent" mit Dackelblick Nicolas Cage anstelle des Harten Hundes Harvey Keitel eine große Hollywood-Produktion mit all dem nötigen Drumherum ist (Kinostart im Januar), war sein Dokumentarfilm "Encounters at the End of the World" einen zweiten Blick wert. Auf Einladung der amerikanischen National Science Foundation reist Herzog in die Antarktis. Nicht um noch einen Pinguin-Film zu machen, wie er gleich zu Beginn festhält. Die Kommentare aus dem Off kommen vom Meisterregisseur und ehemaligen Ko-Direktor der Viennale selbst. Manchmal wirkt das ein wenig launisch, oft ist der Kommentar mit Pathos überladen, aber immer passt er zu dem was wir auf der Leinwand präsentiert bekommen.
Die überwältigende Schönheit der Natur steht nur vordergründig im Mittelpunkt. Herzog zeigt sich zwar selbst beeindruckt, lässt aber in keinem Moment einen Zweifel aufkommen, warum er wirklich in die Antarktis gekommen ist. "Encounters at the End of the World" bezieht sich nämlich auf die Personen, die in der abgeschiedenen Forschungsstation McMurdo arbeiten und leben. Die Menschen stehen im Mittelpunkt und die Menschen in der Antarktis haben einiges über ihren Lebensweg, der sie in die Weite des "ewigen Eises" geführt hat, zu erzählen. Über all dem thronen Roald Amundsen und Robert Falcon Scott, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufmachten in einem irrwitzigen Rennen zum Südpol den letzten weißen Flecken auf der Weltkarte zu erkunden. Dieses historische Abenteuer Antarktis steht letztendlich für den Triumph der Moderne, des weißen Mannes und seiner Überlegenheit über Wildnis, Natur und alles andere Unizivilisierte. Auch damit setzt sich Herzog auseinander und projiziert das Wirken der Menschen, Stichwort Klimawandel, gleichzeitig in die Zukunft des bröckelnden Eises.
Natürlich braucht jedes Festival das etwas auf sich hält einen Preis, den es vergeben kann. Sei es der Ehre und Würdigung wegen, oder der finanziellen und materiellen Hilfe für junge FilmemacherInnen. Der Wiener Filmpreis, mit 14.000 Euro dotiert, wird dieses Jahr erstmals sowohl in der Kategorie Dokumentarfilm, als auch in der Kategorie Spielfilm verliehen. Als beste Doku wurde Peter Kerekes amüsante Produktion "Cooking History" ausgezeichnet. In der österreichisch-slowakisch-tschechischen Produktion dreht sich alles um Militärköche und –köchinnen, die über die großen europäischen Kriege der letzten 70 Jahre berichten. Und zwar aus ihrer ganz eigenen Perspektive, oftmals vom Rande des Schlachtfeldes, aber dennoch als Zeitzeugen unmenschlicher Gräuel. Das Motto der Produktion "6 wars, 10 recipes, 60 361 024 dead" bringt den Film auf den Punkt. Regisseur und Drehbuchautor Kerekes dürfte aber selbst nicht davon überzeugt gewesen sein, dass 60 Millionen Tote genügend Zuseher hinter dem Ofen hervorholen und heute noch als Schockelement funktionieren. Denn täglich werden wir in den Nachrichten mit neuen Meldungen und Bildern über den Verlust menschlichen Lebens bombardiert. Wen schockieren da noch 65 Jahre alte, verwackelte schwarz-weiß Aufnahmen aus Oświęcim? Kerekes möchte aber unbedingt schockieren und seine Zuseher wachrütteln. Also bedient er sich eines einfachen Tricks. Wenn wir alle schon zu abgestumpft sind um menschlichem Leid mit dem dafür nötigen Mitgefühl und Respekt zu begegnen, werden wir schon über die Schlachtung einer Kuh, eines Schweins oder auch eines Hahns in eine Gefühlsmelange aus Entsetzen, Ekel und Betretenheit verfallen. Das funktioniert natürlich. In eben jenen Szenen, die genau in dieser Reihenfolge über den Film verteilt vorkommen, geht Raunen durch den Kinosaal. Als kurz nach der Schlachtung des Hahns Bilder der Hinrichtung algerischer Widerstandskämpfer über die Leinwand huschen, bleibt die Reaktion aus.
Vielleicht liegt das aber auch daran, dass Kerekes die Algerien-Bilder in seine Story verwoben hat und die Tierschlachtungen immer dramaturgisch geschickt aufgebaut werden. Es wird nicht nur jedes Detail gezeigt, der Zerlegung des Hahns durch einen Koch wird ein zweiter französischer Koch, der über die Verbrechen und Gräueltaten des algerischen Widerstandes berichtet, gegenüber gestellt. Überhaupt hat man während des gesamten Films den Eindruck, der Regisseur geht nicht gerade zimperlich mit seinen Protagonisten um und trachtet in den Gesprächen und Interviews immer nach dem größtmöglichen Effekt für die Kamera. Er habe die Inszenierung der Gespräche bewusst gewählt um ein gleichberechtigtes Gesprächsklima zu schaffen. So würden sich die authentischeren Aussagen herauslocken lassen, erklärt Kerekes im Gespräch. Zum Glück sieht man den Protagonisten an, dass sie mit den Erfahrungen die sie schildern schon weit schlimmeres in ihrem Leben erlebt haben, als ihre Zurschaustellung vor Kerekes Kamera. Die Frage nach dem sensiblen Umgang mit persönlichen Traumata bleibt im Raum stehen, wenn Tränen fließen und Interviews seitens der Zeitzeugen abgebrochen werden. Insgesamt ist "Cooking History" ein durchaus sehenswerter Film, der seine Höhen und Tiefen hat. Es ist ein herausfordernder Film, der zur kritischen Auseinandersetzung anregt. Streckenweise ist er auch sehr unterhaltsam, allerdings muss man bei jedem Späßchen darauf achten, dass einem das Lachen in der nächsten Szene nicht im Hals stecken bleibt.
Nach so viel Dokumentarischem darf natürlich auch der Spielfilm nicht zu kurz kommen. Als beste Produktion aus dieser Kategorie wurde Jessica Hausners "Lourdes" ausgezeichnet, die der Wienerin bereits in Venedig einige Ehren einbrachte. Die Mitbegründerin der Produktionsfirma coop 99, welche neben diesem Film für die Realisierung der beiden erfolgreichen Weingartner Filme "Die fetten Jahre sind vorbei" und "Free Rainer", sowie Jessica Hausners ersten Langfilm "Lovely Rita" verantwortlich war, versucht in "Lourdes" zwei gegensätzliche Aspekte herauszuarbeiten. Das eigene Streben nach einem Ziel und das Hinnehmen äußerer Einflüsse auf das eigene Leben. Hauptcharakter des Films ist die gelähmte Christine (Sylvie Testud), die eine Pilgerreise nach Lourdes antritt um ihre krankheitsbedingte Isolation zu überwinden. Das französische Lourdes ist ein katholischer Wallfahrtsort an dem es vor 150 Jahren bei der Grotte Massabielle mehrere Marienerscheinungen gab. Während einer Erscheinung soll eine Quelle in der Grotte freigelegt worden sein, die Heilkräfte besitzt und viele Wunderheilungen bewirkt haben soll. Der Grund warum die Kranken nach Lourds pilgern. Auch während Christines Aufenthalt stellt sich tatsächlich eine Besserung ihres Zustands ein. Sie kann wieder gehen und ihr Wunder wird von einem Ärztekommitee überprüft. Zweifel bleiben, da ihr Krankheitsbild schubhafte Besserungen wie Rückfälle kennt. Wohlwissend dass eine Verschlechterung möglich ist versucht sie ihr Glück zu genießen und den schönen Moment festzuhalten.
Ein humorvolles Highlight und netter Abschluss des Festivals ist Scott Sanders neuste Produktion "Black Dynamite". Voll schwarzem Humor und Black Power kämpft sich der strahlende und titelgebende Held (Michael Jai White) durch die 70er Jahre. In nur 84 Minuten zündet Regisseur Scott Sanders ein Gag-Feuerwerk das seines Gleichen sucht. Gemeinsam mit seinen Drehbuchautoren, zu denen auch Hauptdarsteller White gehört, seines Zeichens ehemaliger Karate-Champion, Stunt-Koordinator für Steven Seagal und Jean-Claude Van Damme und möglicherweise bekannt für seine Hauptrollen in "Spawn" und im Fernsehfilm "Tyson", ist Sanders eine Komödie 70er Jahre Stil gelungen, die sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Er greift die zentralen Elemente des Blaxploitation-Cinema auf und spielt damit. Der potente und starke Held, seine attraktiven Frauen, die bösesten Bösewichte, große Waffen, große Autos, schrille Kleidung und natürlich jede Menge Action. Auch der low-budget Charakter der alten Produktionen wird gekonnt persifliert. Etwa wenn eine ältere Amüsierdame mit einer Träne im Auge die Geschichte ihres drogensüchtigen Neffen erzählt. Black Dynamite lässt einen coolen aber dennoch mitfühlenden Spruch ab, Schnitt auf die Amüsierdame. Siehe da, wo zuvor eine aufgeklebte Träne war ist wieder trockene Haut. Dafür zieht sie genüsslich an einer Zigarette, untermalt vom Sound des Aufglühens einer Zigarette wenn jemand genüsslich daran zieht. Nur, die Zigarette auf der Leinwand glüht nicht auf. Diese und ähnliche Späße die Sanders mit seinem Publikum treibt finden sich in "Black Dynamite" zu Hauf. Oft hat man das Gefühl er hätte sie beliebig lange fortsetzen wollen und können. Die Handlung des Films ist, getreu den alten Produktionen, besten Falls an den Haaren herbeigezogen. Irgendwann kippt sie gänzlich ins Absurde und man kann sich darauf konzentrieren wie sich Black Dynamite des fiesesten aller Fieslinge annimmt. Absolut sehenswert!
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