Während des Aufenthalts an Bord eines Schiffs kommt es zu einer schicksalsträchtigen Zusammenkunft zwischen Colonel Rowan und einem anderen zwielichtigen Passagier.
Colonel "Hippy" Rowan reist gemeinsam mit seinem treuen Butler auf Einladung eines osmanischen Geschäftsfreunds nach Istanbul. Anstatt der beschwerlichen Fahrt mit der Eisenbahn hat man ein Flusskreuzfahrtschiff als Transportmittel auserkoren. An Bord weckt ein anderer Gast ihre Aufmerksamkeit, ein junger Mann, der nur in den Abendstunden an Deck kommt und sein Antlitz stets hinter Tüchern bis zur Unkenntlichkeit verbirgt. Die beiden Briten ziehen Erkundigungen über den undurchsichtigen Passagier ein und ziehen sich damit dessen Unmut zu.
Die Situation eskaliert in der Nacht derartig, dass sogar ein Duell im Raum steht. Nur das beherzte Eingreifen des Kapitäns kann Schlimmeres verhindern. Der aus dem fernen Moldawien stammende Mann mit dem Namen Isaac Lebedenko ist jedoch keineswegs beschwichtigt und schwört Colonel Rowan blutige Rache für seine Unverfrorenheit. Bei der Ankunft am Bosporus geraten die Ereignisse zunächst in Vergessenheit, bis man in geselliger Runde auf eine alte Legende vom Balkan zu sprechen kommt. Plötzlich sind die zurückliegenden Vorkommnisse wieder sehr präsent, was den englischen Gentleman jedoch nicht davon abhält eine folgenschwere Wette einzugehen.
Es ist schon erstaunlich, wie es den Produzenten dieser Reihe immer wieder gelingt interessante Geschichten ans Tageslicht zu fördern, die in unseren Breitengraden nur wenigen Menschen bekannt sein dürften. Eine solche liegt nun mit "Der Judas-Kuss" von Julian Osgood Field vor, die dem Vampirmythos neue, spannende Aspekte hinzufügt. Zwar siedelt der Autor die Handlung ebenfalls auf dem Balkan an, schafft aber eine vollkommen andere Ausgangsgrundlage für die Herkunft der dort beheimateten Blutsauger. Als Fundament dient hier die bereits aus der Bibel bekannte Figur des Judas Iskariot, der Jesus verrät und dafür mit 30 Silberstücken entlohnt wird. Eine Tat, die nicht nur für ihn, sondern sämtliche seiner Nachfahren weitreichende Folgen hat. Fortan sind sie dazu verflucht sich am Blut der Lebenden zu laben.
Tatsächlich präsentiert sich "Der Judas-Kuss" als stimmige Gruselstory mit einem exotischen Einschlag, deren Ausgang zwar keine Überraschung darstellt, aber gut zu unterhalten weiß. Neben der gut gewählten literarischen Ausgangsposition ist es natürlich einmal mehr die kreierte Atmosphäre, die diesem Hörspiel innewohnt. Egal ob an Bord des Schiffs, dem Haus des türkischen Geschäftsmanns oder später im Schloss in Transsylvanien, es gelingt immer mit Hilfe der eingesetzten Soundeffekte ein Bild der jeweiligen Orte zu imaginieren. Rolf Berg übernimmt die Rolle von Colonel Hippy Rowan und macht dabei eine äußerst passable Figur. Glaubhaft inszeniert er den englischen Ex-Militär als Mann mit Prinzipien, der es gewohnt ist seinen Willen zu bekommen und seine Interessen durchzusetzen. Tom Raczko agiert als Butler Adams, der seinem Dienstherrn auch in brenzligen Situationen nicht von der Seite weicht.
In weiteren Rollen sind die beiden alten Haudegen Peter Weis und Bert Stevens zu hören, die mit ihren Stimmen die Geschichte zusätzlich veredeln. Bei außergewöhnlichen Stimmfärbungen ist es oft ein Balanceakt zwischen überzeugender Darbietung oder Lächerlichkeit. Im vorliegenden Fall schlägt das Pendel eindeutig in erstgenannte Richtung. Die krächzende und sich manchmal überschlagende Stimme von Jean Paul Baeck passt hervorragend zum fluchbeladenen Isaac Lebedenko. Bei seinen Auftritten kann man sich eines Fröstelns nur schwer entziehen. "Der Judas-Kuss" ist ein überzeugender Beitrag des "Gruselkabinetts", der zeigt, dass die Geschichte der Vampire noch lange nicht zu Ende erzählt worden ist und immer noch neue Stoffe auf ihre Entdeckung warten.