Ein gewaltiges und neuartiges Rollenspielerlebnis wird versprochen – aber Versprechen dieser Art hat der geneigte RPG-Fan in letzter Zeit viele vernommen, und nur selten wurden sie erfüllt. Was kann der Titel aus der Adventure-Schmiede Deck 13?
"Venetica" kann viel. Die Story kann mit Elementen aufwarten, die bisher nicht in diesem Genre zu finden waren. Als sprichwörtliche Tochter der Todes erhält man den Auftrag, das mittelalterliche Venedig aus der Hand des untoten Victor und dessen Handlangern zu befreien. Zu Beginn sehr schwach und gerade mal mit einem Schürhaken bewaffnet entwickelt sich Protagonistin Scarlett im Laufe der Geschichte zu einer furchterrengenden Kämpferin mit mächtigen Waffen und Zaubersprüchen.
Als Todestochter hat man so seine Vorteile: Je stärker ihr werdet, desto mehr Fähigkeiten erhaltet ihr um mit der Welt der Toten zu interagieren. Etwa helfen euch zwei tote Freunde beim Öffnen von Schlössern oder ihr könnt Geister von ihrem Feststecken in der Welt der Lebenden befreien (oft erhaltet ihr dabei Schatzkarten oder andere Belohnungen). Auch könnt ihr (genug Schattenenergie vorausgesetzt) nicht sterben und so Feinde brutal von hinten überraschen, indem ihr aus der Totenwelt zurückkehrt und ihnen das sprichwörtliche Schwert in den Rücken jagt. Schattenenergie sammelt man mit der legendären Mondklinge, einer zwar nicht sonderlich starken, dafür schnellen und effektiven Waffe.
Grafisch kann man den Entwicklern nichts vorwerfen. Die Atmosphäre ist von Anfang an perfekt inszeniert, und der Anblick der Kanalstadt ist ein echter Augenschmaus. Mit viel Liebe zum Detail und sehr hoher Sichtweite ergeben sich fantastische Aussichten, an denen man sich kaum sattsehen mag. Die Kämpfe sind schön animiert und passen sich den verwendeten Waffen an, die NPCs wirken lebensecht und authentisch. Hin und wieder bleibt Scarlett an Leitern hängen und geht in Häuser, in dem sie herausgeht (ja, das ist kein Tippfehler), aber in Summe sind diese Kleinigkeiten verschmerzbar.
Weit weniger verschmerzbar sind andere Details, die im Laufe der Zeit einfach nur noch lästig werden. Erstens muss vor jedem Öffnen einer Truhe oder Tür die Waffe weggesteckt werden. Zweitens fehlt eine Quicksave-Funktion komplett, was den Spielfluss empfindlich stört. Und drittens fällt auf, dass in dieser Welt alle per du sind, was spätestens beim Stadtrat merkwürdig wirkt ("Was macht ihr hier?"). Zwar nur eine Kleinigkeit, aber dass im Mittelalter keine Höflichkeitsformen existieren, mutet seltsam an.
Davon abgesehen hat "Venetica" absolutes Suchtpotential. Das wird paradoxerweise zum Problem, den spätestens nach dem zweiten Durchspielen fällt das größte Manko auf: der praktisch nicht vorhandene Wiederspielwert. Trotz Bewegungsfreiheit ist „Venetica“ ein Levelschlauch animierter Erzählung, in dem es eigentlich keine Alternativen gibt. Die einzige Wahlfreiheit bekommt ihr bei der Entscheidung für eine der drei Gilden, und selbst diese spielt im Endeffekt keine Rolle. Der Charakterausbau von Scarlett ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Zwar gibt es es viele Fähigkeiten zu erlernen, aber es sind in Summe zu viele, um "mal auszupobieren", und zu wenige der wirklich brauchbaren Art, um Abwechslung hineinzubringen. Auch die Entscheidungen, die im Laufe des Spiels zu treffen sind, scheinen keinen sonderlichen Einfluss auf die Story zu haben. Endgefühl: Straightway zum Endkampf, aber was nun?
Fazit: "Ventica" ist spitze gemacht, bietet viele tolle Elemente und scheitert an der eigenen Genialität. Ob euch die 20-30 Stunden Spielspaß wirklich 40 bzw. 50 Euronen wert sind, müsst ihr für euch selbst entscheiden.