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Niceville

Das Böse hat viele Gesichter! Die kleine Stadt Niceville zeigt sie alle. Kaum ein Buch dürfte eine solche Bandbreite menschlicher Abgründe offenbaren.

(C) Dumont Buchverlag / Niceville / Zum Vergrößern auf das Bild klickenDer vorliegende, über 500 Seiten starke Roman, ist das Deutschland-Debüt von Carsten Stroud. Im angloamerikanischen Sprachraum hat der allerdings bereits einige Krimis und Sachbücher veröffentlicht und ist dort beileibe kein Unbekannter. Sein bei Dumont veröffentlichter Thriller ist dann direkt auch eine Herausforderung, aber eine, die sich definitiv lohnt. Seine im tiefen amerikanischen Süden angesiedelte Story verlangt dem Leser einiges ab. Zunächst heißt es hier den Überblick zu behalten, denn gleich auf den ersten hundert Seiten wird man mit einer großen Anzahl von Handlungssträngen konfrontiert, die sich zunächst alle unabhängig voneinander entwickeln.


Dazu muss sich der Rezipient gleich in mehreren Genren zurechtfinden. Strouds Roman umfasst auch hier ein enormes Spektrum, das nicht selten ans Kino erinnert. Knallharter, amerikanisch geprägter Thriller, Polizeikrimi, bleihaltiger Actioner, Grusel und blanker Horror geben sich ein munteres Stelldichein. Doch dieser ungenießbar anmutende Genre-Cocktail funktioniert und schafft es mühelos, seine Leser in den Bann zu schlagen.


Niceville ist auf den ersten Blick eine verschlafene Stadt im Süden der USA, wo die Uhren noch anders ticken als im Rest des Landes. Doch dieser Blick täuscht, denn unter der scheinbar idyllischen Oberfläche brodelt es. Etwas unbeschreiblich Böses scheint sich in der Stadt niedergelassen zu haben und verdirbt seine Bewohner. Ausgangspunkt dieser nicht greifbaren Boshaftigkeit ist ein Wasserloch in den nahen Bergen, das bereits die Indianer gemieden haben. Als ob dies nicht genug wäre, verschwinden auch immer wieder einige der Bewohner spurlos und das bereits seit über einhundert Jahren.


Mit dem jüngsten Vermisstenfall dieser Art befasst sich der Ermittler Nick Kavanaugh. Der elfjährige Rainey Teague ist bei helllichtem Tageslicht auf einer gut besuchten Einkaufsstraße verschwunden. Das Verbrechen beschränkt sich in der vermeintlichen Kleinstadtidylle jedoch nicht allein auf Vermisste, auch Banküberfalle, Mord, Verleumdung, Erpressung und Industriespionage zählen zu den illustren Freizeitaktivitäten der Bewohner von Niceville.


Jeder, der sich hier niedergelassen hat, scheint ein dunkles Geheimnis mit sich herumzutragen, insbesondere die Nachfahren der vier Gründerfamilien von Niceville. Carsten Stroud lässt sich trotz der häufigen Wechsel der Handlungsstränge viel Zeit für die Entfaltung des Plots und räumt der Vorstellung der Figuren, ihrer Beweggründe und Gefühlswelt viel Platz ein und erinnert dabei nicht nur gelegentlich an den Altmeister des Horrors Stephen King. Da die gesamte Geschichte der Stadt Niceville von Anfang an als Trilogie konzipiert wurde, hat der Autor natürlich auch genügend Raum für eine ausführliche  Ausarbeitung des Geschehens.


Man muss jetzt allerdings nicht fürchten, mehrere hundert Seiten lesen zu müssen bis etwas von Bedeutung geschieht, denn – das ist eine der großen Talente des Verfassers – ihm gelingt es mühelos, seinen Roman in der Breite anzulegen und mit Spannung zu verquicken, sodass man sich diesem Buch nur schwer entziehen kann. Hinzu kommt eine große Glaubwürdigkeit vieler der Figuren, insbesondere jener, die im Militär- und Polizeidienst stehen und es wird schnell deutlich, dass Stroud hier über der Charakterzeichnung zu Gute kommendes Insiderwissen verfügt. Auch die anderen Figuren sind durch die Bank glaubhaft und wissen zu überzeugen, hier gibt es keine farblosen, klischeebeladenen Alibipersonalien.


"Niceville" ist sicherlich kein Buch zum nebenbei Lesen, denn dafür sind die vielen Aspekte einfach zu komplex und das Bühnenpersonal zu umfangreich. Wer gewillt ist, sich darauf einzulassen, wird mit einem der besten und sprachlich anspruchsvollsten Thriller der letzten Zeit entschädigt. Ein großes Kompliment gilt hier auch der Übersetzung Dirk van Gunsterens, der die einfallsreiche Geschichte ins Deutsche übertragen hat. In seinen besten Momenten treffen in diesem Roman die skurrilen Figuren und aberwitzigen Szenen eines Tarantino-Films auf die Mystik von "Lost" und die epische Erzählkunst eines Stephen King. Viel besser kann man es nicht machen. 



# # # Oliver Fleischer # # #



Publisher: Dumont Buchverlag





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