Mikhails beschauliches Leben nimmt ein jähes Ende, als seine Familie von Schergen des russischen Präsidenten ausgelöscht wird.
Wie die Annektierung der Krim und die fortgesetzte Krise im Osten der Ukraine vor Augen führt, ist mit den Machthabern des flächenmäßig größten Staates der Erde nicht gut Kirschen essen, wenn es um die (scheinbare oder tatsächliche) Bedrohung ihrer Interessensphären geht. Knapp ein Vierteljahrhundert nach dem Zerfall der Sowjetunion zeigt der russische Bär seine Krallen mehr denn je und lässt nicht wenige westliche Handlungsträger und Beobachter in überwunden geglaubte Denkmuster des Kalten Krieges zurückfallen. Eines hat sich ungeachtet des jeweils herrschenden Regimes aber über die Jahrzehnte und sogar Jahrhunderte gehalten: Wer dem Kreml nicht passt, tanzt auf dünnem Eis.
Dass man sich mit den Mächtigen in Russland zwar in Sachen Wirtschaft arrangieren kann, aber tunlichst die Finger vom politischen Tagesgeschäft lassen sollte, musste so mancher Oligarch seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin schmerzvoll erfahren. In der chaotischen Privatisierungsphase der 1990er Jahre (auf nicht immer legale Weise) zu großem Vermögen gelangt, machten viele Wirtschaftsbosse und Neureiche genau diesen Fehler und mussten dafür büßen. Der Fall Michail Chodorkowski steht als einer der international bekanntesten beispielhaft für die Methoden der russischen Regierung, unliebsame Personen mittels willfähriger Justiz und gelenkter Presse abzuservieren und ins Gefängnis zu stecken.
An den tiefen Fall des ehemaligen Yukos-Chefs fühlt man sich bei der Lektüre des Auftaktbandes von "Milan K." schon nach wenigen Panels erinnert. Autor Sam Timel macht auch gar keinen großen Hehl daraus, welche reale Person für den russischen Präsidenten Wladimir Palin Pate gestanden ist, und lässt das Unheil für den in Ungnade gefallenen Oligarchen Andrej Khodorov vom Start weg seinen Lauf nehmen. Er wird kurzerhand in den Gulag gesteckt und soll seine Familie, die inzwischen in London lebt, erst nach mehreren Jahren wiedersehen. Sein ältester Sohn Mikhail, der in einem Nobelinternat in der Schweiz studiert, besteigt allerdings nicht den Privatjet, der ihn mit den anderen nach Moskau zum Vater bringen soll, und rettet dadurch unwissentlich sein Leben.
Das Flugzeug wird nämlich im Auftrag der Regierung abgeschossen und die Familie mit einem Schlag vernichtet, als sich dann auch noch Khodorov angeblich selbst das Leben nimmt. Mikhail sucht gemeinsam mit seinem Bodyguard und Ersatzvater Igor das Weite und taucht an der US-Westküste unter. Nachdem er seine Tarnung durch den unvorsichtigen Gebrauch seiner Muttersprache auffliegen lässt, entsendet der Kreml ein Killerkommando, das ihn als potentiellen politischen Gegner der Zukunft ausschalten soll. Ob automatische Gewehre oder ein mit Raketen bestückter Hubschrauber – jedes Mittel ist Präsident Palin recht, um sich des lästigen Problems endlich zu entledigen.
Getragen vom sehenswerten Artwork und der Kolorierung von Corentin schafft es "Milan K.", gleich zwei Lücken des zeitgenössischen Comics aufzufüllen – einerseits die des Wirtschaftskrimis, andererseits die des schonungslosen Blicks auf das autoritäre Russland Wladimir Putins. Die Aktualität des Themas ist von bedrückender Offensichtlichkeit, die Realität hinsichtlich der geschilderten Methoden zur Ausschaltung von Regimegegnern zweifelsohne nicht allzu weit von der hier vorgenommenen künstlerischen Aufarbeitung entfernt. Geheimdienste beweisen schließlich fortwährend Fantasie in der Wahl ihrer Waffen und bekanntlich sind Menschen auch schon durch vergiftete Regenschirmspitzen oder mit Polonium versetztem Tee aus dem Leben gebracht worden…