Ein kleiner Etikettenschwindel kann auch seine guten (Comic-)Seiten haben.
Seit dem ersten Auftritt in "Giant Size X-Men" 1 (1975) ist Colossus so etwas wie ein (stählerner) Fels in der Brandung von Marvels Mutanten und gehörte über die Jahre vielen der verschiedenen Inkarnationen der Gruppe an. Piotr Rasputin sollte nach dem Willen seiner Schöpfer Dave Cockrum und Len Wein eine ähnliche Rolle einnehmen wie Pavel Chekov bei "Star Trek" und den universellen Charakter der Idee hinter Charles Xaviers Schützlingen betonnen, die sich auch für Personen mit dem X-Gen aus der damaligen Sowjetunion einsetzten. Im Gegensatz zu anderen Charakteren fällt das verfügbare Material, aus dem Hachette für den ihm gewidmeten Band der "roten" Sammelreihe schöpfen könnte, eher übersichtlich aus.
Das eingangs erwähnte Debüt fand sich bereits in
Band 64 der "schwarzen" Kollektion, angeboten hätte sich noch die fünfteilige Miniserie "X-Men: Colossus Bloodline" von 2005/06. Stattdessen hat der Verlag auf andere Story-Pferde gesetzt und mit den ersten drei von insgesamt fünf abgedruckten US-Heften eine durchaus angenehme Form von Etikettenschwindel betrieben: Los geht es nämlich mit einem Dreiteiler aus "Uncanny X-Men" 122-124 aus dem Jahr 1979, in dem Colossus zwar eine wichtige Rolle spielt, aber nicht im Mittelpunkt steht, da er wie seine Teamkollegen sozusagen gleichberechtigt durch die Todesfallen von Arcade geplagt wird.
Die Erzählung aus der Feder des legendären Kreativduos Chris Claremont und John Byrne liefert wunderbar kurzweilige Unterhaltung mit dem gewohnten Mix aus etwas Drama, zwischenmenschlichen Problemen und Action sowie Gastauftritten von Spider-Man, Misty Knight und Luke Cage. Colossus verwandelt sich hier per Gehirnwäsche kurzzeitig in den strammen Proletarian, der die X-Men als Klassenfeinde eliminieren will – sowohl er als auch der Mastermind der Murderworld kehren im Oneshot "Colossus" (1997) zurück, der weniger durch Ben Raabs unauffällige Story und hauptsächlich wegen Bryan Hitchs Artwork unterhält.
Als Schlusspunkt, bevor die wie immer vorzüglichen redaktionellen Seiten diverse Wissenslücken füllen, folgt "X-Men Origins: Colossus" (2008) mit einem Blick in die Zeit kurz vor der Rekrutierung von Piotr Rasputin durch Professor Xavier. Chris Yost erzählt hier von den letztlich scheiternden Bemühungen, die Mutantenkräfte des jungen Bauernsohns aus Sibrien vor dem Geheimdienstapparat von Mütterchen Russland geheim zu halten, wo man nicht mehr mit Hammer und Sichel, sondern behutsam upgedatet mit Computern und Handys vorgeht. Unterm Strich ein solider Band, für den als Kaufargument im Grunde der einleitende Dreiteiler zu nennen ist.