Existieren Engel wirklich mitten unter uns? Allein die zehnjährige Marie scheint Antworten auf diese Frage geben zu können.
In Paris taucht ein ungewöhnliches Foto auf. Es zeigt etwas, das viele Menschen ins Reich der Fantasie verbannen, einen Engel. Das Bild weckt das Interesse verschiedenster Gruppierungen, unter anderen der katholischen Kirche. Da Bilder in unserer Zeit auf die unterschiedlichsten Arten manipuliert werden können, wünscht man sich Gewissheit. Man beauftragt Friedrich van Gartner, einen ehemaligen Schweizergardisten, mit der Aufgabe. Die vielversprechendste Spur führt zu der kleinen Marie Dufage. Die Anzeichen verdichten sich, dass sie Kontakt zu dem Wesen auf dem Foto gehabt haben könnte. Gartner macht das Kind in einem Waisenhaus in den Schweizer Bergen auswendig. Hier macht der heutige Privatermittler einige unerfreuliche Entdeckungen. Er ist nicht der einzige, der ein Interesse an dem kleinen Mädchen hat.
Seine Gegenspieler wollen Marie in ihre Gewalt bringen, um ihr Information über den toten Engel zu entreißen. Außerdem verfügt sie über eine beunruhigende Gabe, sie kann Gegenstände allein mit ihrer Gedankenkraft bewegen. In letzter Sekunde gelingt es dem Ex-Soldaten, mit dem Kind das seltsame Kinderheim und seine Häscher hinter sich zu lassen. Auf ihrer turbulenten Flucht durch die Schweiz fasst Marie immer mehr Vertrauen zu ihrem neuen Beschützer und enthüllt einige weitere, äußerst merkwürdig anmutende Informationen. Während Gartner versucht von der Bildfläche zu verschwinden, setzen mehrere andere Gruppen alles daran, der beiden habhaft zu werden.
Marco Göllner hat kein Interesse daran, seinen Hörern alle Informationen und Zusammenhänge bereits zum Auftakt der zweiten Folge mundgerecht auf dem Silbertablett zu servieren. Es ist zwingend notwendig, die Ereignisse aus der Startfolge
"Paris" zu kennen, um den verschiedenen Handlungsfäden in "Genf" überhaupt folgen zu können. Auf eine Zusammenfassung wird verzichtet und die Geschichte setzt nahtlos dort an, wo die vorherige Episode endete. Wer Rätsel und Wendungen mag und einer vielschichtigen Story etwas abgewinnen kann, ist bei "Fallen" genau richtig. Auch wenn die ersten Mosaikstücke scheinbar an die richtige Stelle im großen Ganzen rutschen, eröffnen sich dem Hörer neue, bisher unbekannte Handlungsstränge, die zu den wildesten Spekulationen einladen. Der Background der ersten Figuren wird ausgebaut und vertieft, während andere plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Man merkt sofort, dass das Produktionsteam viel Zeit und Energie auf die Ausarbeitung der Story gelegt hat, ansonsten wäre eine Geschichte mit derart komplexen Entwicklungen wohl nur schwer denkbar gewesen. Die enorme Anziehungskraft, die "Fallen" entfaltet, speist sich sicherlich durch die große Anzahl von Mysterien, die dem Hörer präsentiert und erst langsam Stück für Stück gelüftet werden. Aber auch jene, die eher an actionhaltigen Stoffen interessiert sind, können hier problemlos ein Ohr riskieren. Die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Fraktionen der Engel und die Jagd nach Gartner und seiner jungen Begleiterin halten mehr als ausreichend adrenalinhaltige Unterhaltung bereit.
Wie schon im Piloten der Serie arbeitet das Produktionsteam auch hier wieder viel mit Geräuschen, mit denen es gelingt, mehr Inhalt einer Szene zu umreißen als mit mehreren Sätzen Dialog. Im Moment sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal, das in dieser Form nur in einer anderen Serie von Marco Göllner Verwendung fand, nämlich "Dorian Hunter – Dämonen-Killer". Dazu gibt es wieder schnelle Schnitte, sodass einige Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt werden. So bietet "Fallen" nicht nur inhaltlich, sondern auch bei der Inszenierung eine breite Palette verwendeter Stilmittel. Die Dialoge sind sehr natürlich geraten, was sich insbesondere in den Gesprächen zwischen Gartner und der kleinen Marie widerspiegelt. Menschen sind nun einmal verschieden und reden nicht alle auf die gleiche Art und Weise. Ein Umstand, der leider nicht immer im Hörspiel seine Berücksichtigung findet.
Das Cover ist erneut im Comic-Stil gehalten und beinhaltet einige Verweise auf die Handlung. Auch hier werden neue Wege beschritten, was "Fallen" wohltuend von anderen Serien absetzt. Die Zahl der zu hörenden Stimmen ist bei "Genf noch einmal gestiegen und wieder sind es nur erfahrene Künstler, die mit ihren Stimmen schon unzählige Produktionen bereichert haben. Dazu zählen so illustre Namen wie Tilo Schmitz, Antje von der Ahe, Peter Groeger und Bernd Vollbrecht. Zwei Namen müssen aber an dieser Stelle hervorgehoben werden. Florian Halm gibt einmal mehr den gefühlvollen Engel, der die Nähe der Sterblichen sucht, aber dabei nie seine wahren Ziele offenbart. Eine wirkliche gelungene Performance, die Halm wie auf den Leib geschneidert erscheint.
Daneben ist es Lilli Martha König, die es auf eine unfassbar realistische und gefühlvolle Weise schafft, die Rolle der Marie Dufage zu gestalten. Ein verletzliches Mädchen, dessen Welt sich innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf gestellt hat. Lilli Martha König gelingt es, den inneren Zwiespalt und die Verwirrung in ihre Stimme einfließen zu lassen und auf ganzer Linie zu überzeugen. "Genf" bewegt sich auf demselben hohen Niveau, das auch bereits "Paris" auszeichnete. Wer Hörspiele mag, die nicht bereits nach wenigen Minuten ihr gesamtes Pulver verschossen haben und denen es gelingt, inhaltlich immer wieder Akzente zu setzen, ist bei "Fallen" genau richtig.