In der Spätphase seines Schaffens nimmt Arthur Schnitzlers "Fräulein Else" eine zentrale Rolle ein, schließlich handelte es sich bei der 1924 veröffentlichten Novelle um einen der letzten großen Erfolge des Erzählers und Dramatikers, dem zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits der Ruf anhaftete, der Dichter einer untergegangenen Epoche zu sein. Eine Behauptung, die ihm nicht nur persönlich, sondern auch zunehmend wirtschaftlich zu schaffen machte, und die sich rückblickend als nicht irreführender hätte erweisen können.
Schnitzlers Stoffe sind nämlich zwar größtenteils im Österreich-Ungarn des Fin de siècle angesiedelt, erweisen sich aber, was die brillante Analyse gesellschaftlicher Zwänge und Missstände betrifft, als ausgesprochen zeitlos. "Fräulein Else" ist auch das letzte Werk, das noch zu seinen Lebzeiten verfilmt wurde und die Wertschätzung des Literaten für das Kino zum Ausdruck brachte. Wie transferiert man aber eine Erzählung, die komplett als innerer Monolog der namensgebenden Protagonistin gehalten ist, in ein anderes Medium? Noch dazu in die sogenannte Neunte Kunst, die passenderweise ein Mittelstück zwischen Literatur und Film darstellt?
Vor dieser kniffligen Aufgabe stand wohl auch der italienische Comic-Schaffende Manuele Fior, als er sich an die Adaption des Stoffs machte, dessen deutsche Fassung 2010 vom Avant-Verlag veröffentlicht und kürzlich als edler Hardcover mit zusätzlichen Skizzenseiten neu aufgelegt worden ist. Die junge Else gerät darin durch ein Telegramm in ein emotionales Dilemma. Ihr Vater steht demnach mit einem Fuß im Kriminal und benötigt einen hohen Geldbetrag, um den seine Tochter einen befreundeten Kunsthändler bitten soll. Dieser stellt im Gegenzug für seine Hilfe allerdings eine pikante Bedingung: Er will Else nackt sehen dürfen.
Nun beginnt ein Parforceritt für sie, der zwischen Gleichgültigkeit, frivolen Gedanken, Ergebenheit in ein unabwendbares Schicksal, Todessehnsucht und dem Schlafmittel Veronal pendelt – in Aquarellfarben gemalt, die wahlweise kraftvoll aufleuchten oder blass schimmern und so das tragische Wechselspiel von Sein und Schein, von Wunsch und Realität in aller Konsequenz reflektieren. Eine famose Umsetzung, die es nicht nötig hat, sich noch zusätzlich mit dem überstrapazierten Etikett "Graphic Novel" schmücken zu müssen, und vielleicht auch manche Leser dazu verleiten kann, sich in die faszinierende Materie Schnitzler weiter zu vertiefen.