Eine harmlose Plauderei am Kamin wird für einen jungen Mann zur fixen Idee. Verbirgt sich im alten Schloss Tartakow wirklich eine junge Frau, die jedes männliche Wesen in ihren Bann schlägt?
Die Karpaten waren schon jeher ein Ort der Mythen und Legenden und regten immer wieder die Fantasie der Menschen an. So ist es nicht weiter verwunderlich, als sich auch die abendlichen Plaudereien auf dem Anwesen der Familie Bardoßoski der Geister- und Gespensterwelt zu wenden. Alsbald kommt man auf das nicht weit entfernt liegende Schloss Tartakow und seine unheimliche Geschichte zu sprechen. Was liegt hinter den dicken Mauern der Burg verborgen? Die Leute der Gegend wissen von so manch Seltsames über das einsam auf einer Felsnadel gelegene Schloss zu berichten. Eine der merkwürdigsten Legenden rankt sich um die unbekannte Marmorschönheit, die des Nachts zum Leben erwacht und der ihre unglückseligen Besucher mit Haut und Haar verfallen.
Einer der Gäste der Bardoßoskis, der junge Manwed Weroski, ist auf das Äußerste von dieser Geschichte fasziniert und beschließt trotz des Missfallens seiner Verlobten, Schloss Tartakow persönlich einen Besuch abzustatten. Die Frage, ob die durch ihre Schönheit bestechende Statue wirklich existiert, lässt ihm keine Ruhe, und so bricht Manwed zu dem unheimlichen Gemäuer hoch oben auf dem Berg auf, um das Geheimnis zu ergründen. Er kann ja nicht ahnen, was ihn hinter den Zinnen der Burg erwarten wird.
Kurz vor dem runden Jubiläum erinnert sich das "Gruselkabinett" noch einmal an seine Anfangstage und veröffentlicht eine klassische Schauergeschichte, die wirklich kaum Wünsche offen lässt. Wie bei so vielen Vertretern dieser Gattung ist auch hier der Aufbau eher ruhiger und gemächlicher Natur. Ausgangspunkt ist, wie des Öfteren, eine Abendgesellschaft, die sich mit unheimlichen Geschichten die Zeit vertreibt. Man gibt dem Plot Raum sich zu entwickeln, ganz langsam und unauffällig schleicht sich das Übernatürliche in die Handlung und sorgt für eine angenehme Schaueratmosphäre.
Neben der Faszination für das Unheimliche ist "Die Toten sind unersättlich" deutlich sexuell konnotiert. Die Neugier wird für Manwed zum Verhängnis. Die Suche nach einer überirdischen Schönheit führt die Hauptfigur geradewegs in die sexuelle Abhängigkeit. Die Ausstrahlung der Fürstin Tartakowska ist so groß, dass der junge Adelige sämtliche Brücken zu seinem früheren Leben abbricht und sogar seine bezaubernde Verlobte verlässt. Das Böse manifestiert sind hier in einer sexuell selbstbestimmten Frau, die sich die Männer untertan macht. Wenn man den Entstehungszeitraum von "Die Toten sind unersättlich" betrachtet, so dürfte dies für nicht wenige Männer Anlass zur Furcht gewesen sein.
Wesen aus der Geisterwelt, die sich die Lebenden durch ihre Liebe oder körperliche Attribute gefügig machen, gehören schon seit jeher zum Repertoire der romantischen Schauerliteratur. Trotz des doch recht häufig auftretenden Handlungselements gelingt es im Falle von "Die Toten sind unersättlich", neue Komponenten einzubinden und den Hörer bis zum Ende zu fesseln. Es empfiehlt sich übrigens, dem Geschehen aufmerksam zu folgen, denn wenn man den Gesprächen der abendlichen Gesellschaft und den Worten des Erzählers sehr genau zuhört, so ergibt sich noch eine ganz neue Interpretationsmöglichkeit, wer die Geschicke von Manwed lenkt.
Wer sich für romantische Einschübe und eine äußerst reizvolle Verwendung von Sprache ebenso begeistern kann wie für eine wohlige Gänsehaut, die für die Schauergeschichten des ausgehenden 19. Jahrhunderts typisch ist, kann bei "Die Toten sind unersättlich" bedenkenlos zugreifen. Wer jedoch ein Hörspiel ihm Stile eines H. P. Lovecraft oder Robert E. Howard erwartet, wie sie auch im "Gruselkabinett" anzutreffen sind, dürfte hier enttäuscht werden. Präsentiert wird die Geschichte von zwei Erzählern, wobei sich der eine auf die Rahmenhandlung konzentriert, deren Fokus insbesondere auf die Ereignisse im Hause Bardoßoski gerichtet ist, während der zweite von seinen Erlebnissen auf dem unheimlichen Schloss Tartakow berichtet.
Die Musik kommt, wie bei vielen Produktionen beim "Gruselkabinett", in einem klassischen Gewand daher und sorgt für eine stimmungsvolle musikalische Untermalung, die die winterliche Atmosphäre und die spätere sexuelle Spannung auf Schloss Tartakow sehr gut hervorarbeitet. Aber auch die unheimlichen und geheimnisvollen Momente werden mit den richtigen Musikstücken unterlegt und die Wirkung so deutlich erhöht. Zehn Stimmen sind in "Die Toten sind unersättlich" zu hören. Neben Simon Jäger, der als Erzähler in der Rahmenhandlung fungiert, sind es insbesondere zwei Sprecher, die große Teile der Handlung tragen: David Nathan als Opfer der unersättlichen Gräfin Tartakowska und Antje von der Ahe als dominierte Frauenfigur aus der Geisterwelt schaffen es mit einer großen Spannbreite an Stimmfärbungen, die verschiedensten Gefühle auf beeindruckende Weise zum Hörer zu tragen.
Jede Minute in ihrem Zusammenspiel weiß zu überzeugen und trägt die verschiedenen Emotionen ins Heim des Hörers. Lediglich als Erzähler fällt David Nathan gegenüber Simon Jäger etwas ab, aber macht auch hier eine gute Figur. Dazu kommen viele bekannte Stimmen wie Bodo Wolf, Maria Koschny und Joachim Tennstedt, die in den Nebenrollen zu glänzen wissen. Kurz vor dem großen Jubiläum besinnt sich das "Gruselkabinett" wieder einmal auf seine Tugenden und präsentiert dem Hörer eine klassische Gruselgeschichte, perfekt geeignet für dunkle und kalte Winterabende.