Als Wesley Earl Craven am 2. August 1939 in Cleveland, Ohio, geboren wurde, ahnte noch niemand, wie wichtig dieser Name für das gesamte amerikanische Kino werden würde.
Dazu gab es auch keinen Anlass, fand die Entwicklung und berufliche Ausbildung des jungen Craven doch weitab von jeglicher Verbindung zum Film statt. Nach einer eher unglücklichen Kindheit und einer streng baptistischen Erziehung verließ er Cleveland, um in Illinois am Wheaton College englische Literatur zu studieren. Krankheitsbedingt brach er sein Studium ab, um ein Jahr später mit einem Psychologiestudium zu beginnen. 1963 machte Wes Craven seinen Abschluss am Wheaton College, und ein Jahr später erhielt er einen Master in Writing and Philosophy von der J. Hopkins Universität in Baltimore, an welcher er anschließend auch als Dozent für Sozialkunde arbeitete. An dieser Universität begann auch das Filmgenie in Craven zu erwachen. Er realisierte gemeinsam mit Studenten einen Amateurfilm und war seither vom Thema Film fasziniert. Er verließ die Universität, gab seinen Job als Dozent auf und ging nach New York, um eine Dokumentarfilm-Schule zu besuchen. Um seine Rechnungen bezahlen zu können, hielt er sich als Taxifahrer über Wasser. In New York lernte Craven auch seinen zukünftigen Freund und Kollegen Sean S. Cunningham kennen, wobei keiner von beiden ahnte, dass ihr Zusammentreffen später als eines der wichtigsten Ereignisse für das amerikanische Kino und für das Horrorgenre schlechthin gelten würde.
1971 produzierten Wes Craven und Sean S. Cunningham, welcher später für Klassiker wie „Friday 13th“ verantwortlich sein sollte, gemeinsam den pseudo-dokumentarischen Pornofilm „Together“, mit dem sie den ein Jahr darauf folgenden, mittlerweile zum Kultklassiker avancierten Film „The Last House on the Left“ finanzierten.
„The Last House on the Left“ orientiert sich sehr lose an dem 1960 von Ingmar Bergman geschaffenen Familiendrama „Die Jungfrauenquelle“ und handelt von 2 Jungen Mädchen die in die Fänge von perversen Gewaltverbrechern fallen, von diesen auf grausamste Weise gefoltert, erniedrigt, vergewaltigt und schließlich ermordet werden, sowie von der gnadenlosen und brutalen Rache der Eltern der beiden Mädchen.
Als „The Last House on the Left“ 1972 erschien, sorgte er sofort, damals wie auch heute, für heftige Diskussionen und erhielt prompt das einem kommerziellen Todesstoß gleichzusetzende X-Rated Zeichen. Nichtsdestotrotz ließ sich der Erfolg des Filmes nicht aufhalten, und es wurde schnell klar, dass Craven mit seinem Werk das Horrorgenre revolutioniert hat. Einerseits brachte er eine völlig neue Art der Darstellung von Folter und Gewalt, in Verbindung mit einem politisch-kritischem Bezug auf den Vietnam-Krieg, andererseits verstand er es exzellent, die Grausamkeit und Gewalt seiner Figuren unglaublich real zu visualisieren. Durch eben diese realistische Darstellung von Folter und Gewalt ohne jegliche Glorifikation oder Stilisierung derselben, wie man sie später bei vielen anderen findet (z.B.: Tarantino), schaffte es Craven, selbst die grausamsten Abgründe der menschlichen Seele als das erscheinen zu lassen was sie eigentlich auch sind: als etwas Menschliches. Spätestens, als die amerikanischen Vorzeige-Eltern der beiden ermordeten Mädchen, welche zugleich als Sympathie- und Mitleidsträger fungieren, ihren mindestens genauso brutalen, grausamen und erbarmungslosen Rachefeldzug starten, ist jedem Zuseher auf verstörende Weise klargemacht, dass Gewalt und Grausamkeit erschreckend menschlich sind. Diese Erkenntnis und die Art, in der sie dem Zuseher offenbart wird, schafft es, so zu verstören und aufzuregen, wie es später nur noch ein Michael Haneke mit Filmen wie „Funny Games“ oder „Benny’s Video“ schaffen wird.
Trotz der großen Resonanz, die „The Last House on the Left“ hervorrief, vergingen weitere fünf Jahre, bis Wes Craven seinen nächsten Film mit dem Titel „The Hills Have Eyes“ veröffentlichte. Grundsätzlich blieb der damals 38-jährige dem Erfolgsrezept seines ersten Filmes treu und behandelte wieder die Gewalt an amerikanischen Durchschnittsbürgern und deren Gegenwehr. Mit dem Unterschied, dass in „The Hills Have Eyes“ nicht die visuelle Darstellung von Gewalt im Vordergrund steht sondern die Auswirkung und die Folgen, die diese Gewalt nach sich zieht. Es wird bewusst auf die detaillierte Darstellung von Gewalt verzichtet, und viele Gewalttaten werden oft nur angedeutet. Es geht nicht um die Gewalt als primäres Thema sondern vielmehr um den Angriff auf die Gutbürgerlichkeit und auf die damals so hochgehaltenen Werte der traditionellen Familienidylle. Damit traf Wes Craven den Nerv der Zeit. „The Hills Have Eyes“ übertraf den Erfolg von „The Last House On The Left“ bei Weitem und sicherte Craven eine Stellung als angesehener und respektierter Regisseur.
Es folgten einige Fernsehproduktionen sowie die Filme „Deadly Blessing“ und „Swamp Thing“, bevor am 16. November 1984 der Geniestreich „A Nightmare On Elm Street“ in den USA erschien und endgültig die Türen zu internationalem Durchbruch und Erfolg aufgestoßen wurden. Mit „A Nightmare On Elm Street“ schaffte es Craven, den Horrorfilm in eine völlig neue Dimension zu heben und diesem Genre eine noch nie da gewesene Popularität zu verleihen. „A Nightmare On Elm Street“ wurde zu einem ungeahnten kommerziellen Erfolg, löste einen regelrechten Hype um das Horror-Genre aus und bescherte ihm mit Freddy Krueger einen der populärsten Horror-Helden der Filmgeschichte. Mit frappierender Leichtigkeit schaffte es Craven, in diesem Film die Grenzen zwischen Realität und Traum vollständig zu verwischen und setzt die Zuschauer der ureigenen Angst aus, im Schlaf machtlos, verwundbar und angreifbar zu sein.
In den nächsten Jahren seines Schaffens arbeitete Wesley Craven nicht nur für das Kino, sondern produzierte, schrieb und führte Regie bei einigen TV-Produktionen, wie zum Beispiel bei der Serie „The Twilight Zone“. Seine große Leidenschaft blieb jedoch immer das Kino, und es entstanden Filme wie „Chiller“ und der 1989 veröffentlichte Klassiker „Shocker“, mit dem zwar nicht an Freddy Kruegers Popularität heranreichenden, aber immerhin sehr soliden Kultkiller Horace Pinker. Weiters wartet „Shocker“ mit einem genialen Soundtrack auf, auf dem alles vertreten ist, was die Heavy Metal-Szene zu der Zeit hergab. Angefangen von THE DUDES OF WRATH (bestehend aus niemandem Geringeren als Paul Stanley von KISS, Tommy Lee von MÖTLEY CRÜE und Vivian Campbell von DEF LEPPARD sowie Desmond Child und Rudy Sarzo von WHITESNAKE), über die Herrschaften von MEGADETH, die mit einer sehr gelungenen Coverversion des ALICE COOPER-Klassikers „No More Mr. Nice Guy“ aufwarten, bis hin zu Namen wie IGGY POP, BONFIRE und VOODOO X, bietet der Soundtrack zu „Shocker“ alles, was das Heavy Metal-Herz höher schlagen lässt! Humoristisches Detail am Rande: Keyboarder von VOODOO X war zu dieser Zeit niemand Geringerer als Jan Uwe Fahrenkrog, der Mitbegründer von NENA und späteres „Popstar“-Jurymitglied!
Wes Craven hat sich nie auf seinen Erfolgen ausgeruht, noch war er ein Mensch, der Angst davor hatte, Neuland zu beschreiten. Dies wurde spätestens mit dem Erscheinen der Horrorkomödie „Vampire in Brooklyn“ im Jahre 1995 bewiesen. Mit Eddie Murphy in der Hauptrolle lieferte Wes Craven eine Parodie auf den Horror ab, welche aber von den Kritikern zerrissen wurde und an den Kinokassen floppte.
Im Dezember 1996 geht ein Aufschrei durch die Kinowelt, als Wes Cravens Film „Scream“ veröffentlicht wird. Der Mörder in der Munch-Maske avanciert sofort zum Kult-Star und die Maske zum Verkaufsschlager in jedem Halloween-Laden. „Scream“ ist so etwas wie die Hommage an Cravens Lieblings-Genre, in welcher er bemerkenswert treffsicher und auf sehr originelle Weise mit den – von ihm selbst mitaufgestellten – Genreregeln spielt. „Scream“ war jedoch weitaus mehr, als ein Fest für Kenner des Genres. Er schaffte es ebenso, die breiten Massen durch eine andauernd anhaltende Spannung, zahlreiche unerwartete Wendungen sowie durch makaberen Humor zu begeistern. Wes Craven gelang es mit der medienkritischen und bewussten Darstellung von Gewalt sowie durch einen sehr selbstironischen Umgang mit Klassikern des Genres, wie „Halloween“ und „Prom Night“, eine Brücke zwischen Genreliebhabern und dem Durchschnittskinobesucher zu schlagen und schöpfte somit das kommerzielle Potential des Filmes völlig aus. Ein Jahr später folgte „Scream 2“, welcher noch erfolgreicher wurde als sein Vorgänger, und schließlich setzte 2000 „Scream 3“ den Schlusspunkt der Trilogie.
Im Jahr 1999 wagte sich Wes Craven mit „Music Of The Heart“ ein weiteres Mal auf völlig neues Terrain. „Music Of The Heart“ ist eine Neuverfilmung des Dokumentarfilmes „Small Wonders“, der von der Violin- Lehrerin Roberta Guaspari handelt und auf einer wahren Begebenheit basiert. Die Rolle der Roberta Guaspari wurde von Meryl Streep verkörpert, welche dafür eine Nominierung für den Oscar erhielt.
Im Jahr 2005 erschien der Thriller „Red Eye“, mit welchem Craven nach dem künstlerischen und finanziellen Flop „Cursed“ wieder zur alten Hochform findet. Jedoch markiert „Red Eye“ auch die Abkehr des Wesley Craven vom Slasher-Genre, da vielmehr auf psychologischen Horror als auf blutige Schockerszenen gesetzt wird.
Auch wenn Wes Craven im Laufe seiner Karriere oft experimentierte, blieben seine grundsätzlichen Themen jedoch immer erhalten. Er versuchte immer, gesellschaftliche Tabus zu brechen und traditionelle Werte, wie etwa die heile Familie oder den Vorstadt-Frieden, in Frage zu stellen.
Am Ende bleibt lediglich zu sagen, dass Wes Craven einer der wenigen wagemutigen Regisseure ist, die das moderne Kino und ganz besonders das Horrorgenre entscheidend definiert haben. Er ist ein Regisseur, der sich nie von Rückschlägen aufhalten ließ, sich nie von (Genre-)Grenzen einengen ließ, und dadurch entscheidend zur positiven Entwicklung des modernen Kinos beitrug. Ohne ihn wäre die Kinolandschaft um einiges öder und das amerikanische Kino um viele Meisterwerke ärmer.
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