Auch nach mehr als einem halben Jahrhundert hat sich nichts an den hehren Grundsätzen der Kinder des Atoms geändert.
Seit 1963 schon sorgen die X-Men für einen schier unübersichtlichen Berg an Veröffentlichungen, die alle im Grunde um eine leider zeitlose Frage kreisen: Warum können Menschen jene, die anders sind als sie selbst, nicht akzeptieren? Das ebenso einfache wie geniale Konzept dabei ist, dass "Mutant" als Platzhalter für praktisch alles dienen kann, was charakterschwachen Individuen Angst einflößt. Egal ob Herkunft, politische Ansichten, sexuelle Orientierung – alles abseits einer angeblichen Norm gilt es zu vermeiden, zu verdammen oder im schlimmsten Falle zu vernichten. Marvels Kinder des Atoms spiegelten seit jeher die gesellschaftlichen Zustände und den Umgang der Mehrheit mit der Minderheit wider, wofür "God Loves, Man Kills" als Musterbeispiel gelten kann.
Als fünfte Ausgabe der "Marvel Graphic Novel"-Reihe im Jahr 1982 erschienen, führte es Reverend William Stryker ein, einen religiösen Fanatiker, der Mutanten als Geschöpfe des Teufels brandmarkt, gegen die seine Purifiers genannten Handlanger gewaltsam vorgehen und nun die X-Men ins Visier nehmen. Um den gefangengenommenen Professor Xavier zu retten, dessen Kräfte der selbsternannte Mann Gottes für seine Pläne nutzt, ist das Team sogar zu einem kurzfristigen Bündnis mit Erzfeind Magneto gezwungen. Chris Claremont, zweifellos der wichtigste Autor der X-Historie überhaupt, hat gemeinsam mit Zeichner Brent Anderson ("Astro City") eine eindringliche Parabel über die Leichtigkeit, bereits mit Worten tödliche Taten vorzubereiten, geschaffen.
Gegen diesen Klassiker, der noch dazu als maßgebliche Inspiration für "X2", den zweiten Kinofilm der Gruppe X von 2003, diente, muss "X-Men: Season One" zwangsläufig etwas verblassen, obwohl es den Löwenteil dieses Bands bestreitet. Der Qualität des Updates der Frühgeschichte des Urteams mit Marvel Girl, Cyclops, Beast, Iceman und Angel, die Dennis Hopeless schildert, tut das jedoch keinen Abbruch. Natürlich geben sich Magneto und seine Bruderschaft der bösen Mutanten die Ehre, doch der Fokus liegt auf dem doppelten Problem von Teenagerproblemen einerseits und der Ausgrenzung durch die Gesellschaft andererseits. Die sanften Linien von Zeichner Jamie McKelvie fangen genau diese Fragilität des blutjungen X-Teams sehr schön ein.