In den turbulenten 1990ern wurden die "Big Two" Marvel und DC besonders von zwei neuen Playern auf dem amerikanischen Comic-Markt ordentlich ins Schwitzen gebracht. Während Image, gegründet von abtrünnigen Marvel-Zeichnerstars wie Todd McFarlane ("Spawn") , Jim Lee ("WildC.A.T.s") und Rob Liefeld ("Youngblood"), mehr durch optische Extravaganzen denn mit hochwertigem Storytelling für Furore sorgte, stimmte bei Valiant das Gesamtpaket: Der Verlag, vom ehemaligen Marvel-Chefredakteur Jim Shooter ins Leben gerufen, baute 1991 mit den Serien "Magnus, Robot Fighter" und "Solar, Man of the Atom" (beide Charaktere entstammten dem Fundus von Gold Key) und ab 1992 mit der Eigenkreation "Harbinger" ein "shared universe" auf, das spätestens mit dem "Unity"-Crossover zum nächsten heißen Ding wurde.
Das Wohltuende an Valiant war, dass handverlesene Comic-Kreative erfrischende neue Szenarien abseits ausgetrampelter Superhelden-Pfade präsentierten und zahlreiche Geschmäcker bedienten. Unrühmlich war dann jedoch das schmähliche Ende des Verlags, der 1996 vom Videogame-Publisher Acclaim übernommen wurde und einige Jahre später von dessen Pleite erfasst wurde, umso erstaunlicher das Comeback unter neuer Führung, das viele geliebte Valiant-Charaktere ab 2012 zurück in die Regale brachte. Diese Renaissance auch in deutscher Sprache mitzuerleben zu können schien längst nicht mehr realistisch, bis mit Actionkraft doch noch jemand einem der spannendsten Comic-Universen der USA eine Chance gab.
Unter den Starttiteln dieses frischgebackenen Imprints des im Brett- und Rollenspielbereich aktiven Schwerkraft-Verlags findet sich auch "Archer & Armstrong", eine der prominentesten Serien der Valiant-Inkarnation der 1990er. Kennern der ursprünglichen Version dürften die biografischen Ausgangspunkte der beiden Protagonisten geläufig sein, mit denen Autor Fred van Lente (
"Marvel Zombies") loslegt: Obadiah Archer wurde von fundamentalistischen Christen aufgezogen, die ihn im Alter von 18 Jahren auf eine vermeintlich heilige Mission entsenden, um den tausende Jahre alten Aram Anni-Padda zu töten.
Der nennt sich aktuell Armstrong und führt ein lasterhaftes Leben, kennt aber aus seinem früheren Leben in Mesopotamien das Geheimnis des sogenannten Segens. Hinter dieser Maschine aus grauer Vorzeit ist "Das eine Prozent" her, eine Sekte, die den schnöden Mammon anbetet und vor nichts zurückschreckt, um ihre Ziele zu erreichen. Obadiah muss erkennen, dass er von seinen Eltern getäuscht wurde und die Zusammenarbeit mit Armstrong der einzige Weg ist, um größeres Unheil zu vermeiden. Und so entbrennt ein dramatischer Wettlauf, denn die Archers haben neben ihrem Sohn mehrere seiner Geschwister auf die restlichen Teile des Segens angesetzt.
"Der Michelangelo-Code" mit den ersten vier US-Ausgaben präsentiert zahlreiche, auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenpassende Teile, die im Laufe der Lektüre nach und nach ein extrem kurzweiliges Ganzes ergeben: Etwas Zeitgeist durch die zum Zeitpunkt der US-Veröffentlichung aktuelle "Occupy Wall Street"-Bewegung, ein paar eingestreute Stichworte zu klassischen Verschwörungstheorien, das Aufeinanderprallen von religiösen Dogmen und hedonistischem Lifestyle, Kampfkunst, Hightech und als wahnwitzige Krönung sogar Mönche mit markanten Schnurrbärten aus einer unseligen Epoche deutscher Geschichte. Versetzt mit dem Humor, der sich aus den Gegensätzen der beiden Protogonisten speist, und dem tadellosen Strich von Zeichner Clayton Henry ist das ein Auftakt nach Maß, der eine breite Leserschicht ansprechen dürfte (und auch sollte).
Insider können sich über einige Referenzen freuen, wenn etwa geheime Aufzeichnungen über Vine genannte Außerirdische (siehe "X-O Manowar") oder eine Militäranlage in Nevada ("Bloodshot") erwähnt werden. Details wie diese machen deutlich, dass die Macher bemüht waren, die verschiedenen Serien des Valiant-Universums 2.0 schlüssig miteinander zu verbinden und so ein gemeinsames Fundament zu legen. Abgesehen von einigen Schnitzern im Lektorat, die hoffentlich nur in die Kategorie "Kinderkrankheiten" fallen, lässt sich Actionkraft nichts zuschulden kommen und hat neben diversen Variantcovers auch Konzeptstudien und unkolorierte Originalseiten sowie eine Leseprobe aus dem Auftakt von "X-O Manowar" abgedruckt.