Bei seinem Marvel-Einstand hatte Grant Morrison auch einen neuen Vertreter der Kree im Gepäck.
Das Aufsehen, das der kürzliche Wechsel des langjährigen Marvel-Stamminventars Brian Michael Bendis zur Konkurrenz von DC in der Comic-Landschaft jenseits des Atlantiks erzeugte, lässt sich in jüngerer Vergangenheit eigentlich nur mit der Verpflichtung von Grant Morrison im Jahr 2000 vergleichen, die in umgekehrter Richtung erfolgte. Während sich der mediale Staub seit Bendis` Antritt bei seinem aktuellen Brötchengeber mittlerweile gelegt hat und die Auswirkungen in kreativer wie kommerzieller Hinsicht keineswegs so gravierend ausgefallen sind wie wohl anfänglich zu vermuten, verpasste der Schotte ab 2001 der weitläufigen Mutantenfamilie Marvels mit seiner Autorenstrecke bei
"New X-Men" hingegen eine deutliche und durch gesteigertes Leserinteresse belohnte Neuausrichtung.
Joe Quesada, der in besagtem Jahr zum Chefredakteur des Verlags befördert werden sollte, betraute ihn bereits zuvor mit einer sechsteiligen Miniserie des damals florierenden "Marvel Knights"-Sublabels. In "Marvel Boy" führte Morrison mit Noh-Varr einen weiteren Außerirdischen vom Volk der Kree ein, der auf der Erde landet – das allerdings gegen seinen Willen und mit einer ordentlichen Wut im jugendlichen Bauch, denn durch den Abschuss des Raumschiffs seiner Crew sind alle Freunde samt der Geliebten ums Leben gekommen. Die Verantwortung dafür trägt Doctor Midas, der auf den Reaktor des Wracks aus ist, um sich kosmische Kräfte, wie sie die Fantastic Four besitzen, einzuverleiben und seine Tochter Oubliette (alias Exterminatrix) auf den Heißsporn ansetzt.
So wie das mit knackigem Domina-Outfit und goldener Pistole auftretende Töchterchen gegen seinen alten Herrn aufbegehrt, übt sich auch Noh-Varr als jugendlicher Rebell und versucht Rache an jenen zu nehmen, die er als Schuldige für seine Misere ausgemacht hat. Doch während Doctor Midas nach gewinnbringenden neuen Kräften giert, streben nicht nur Menschen nach geschäftlicher Dominanz: Der Kampf gegen den über Nacht hip gewordenen Konzern Brand Hex wirkt als beißende Mediensatire im gegenwärtigen Zeitalter von Facebook, Google und Amazon noch aktueller als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 2000. "Marvel Boy" (Vol. 1) kombiniert flotte Action mit intelligenten Dialogen und den für Morrison typischen abgefahrenen Ideen und ist dank des grazilen Strichs von J. G. Jones auch optisch erste Sahne.