In einer der zahlreichen Realitäten des Marvel-Multiversums hat Gwen Stacy die proportionalen Kräfte eine Spinne bekommen, während der Tod von Peter Parker ihr Gewissen plagt.
Wenn sich die Leserschaft des "House of Ideas" über etwas wahrlich nicht beschweren kann, dann sind es Legionen an alternativen Entwürfen bekannter Helden und Schurken, die in unzähligen Parallelwelten und -dimensionen beheimatet sind. Besonders in den letzten drei Dekaden scheint es sich zu einer Art Volkssport der für den Verlag tätigen Kreativen entwickelt zu haben, im Rahmen von kleineren Storylines bis hin zu ausufernden Crossover-Events immer wieder neue Variationen bekannter Themen und klassischer Erzählungen hervorzubringen – zweifellos ließe sich hier durchaus bereits eine Art Reiseführer durch die zahlreichen Ecken des Marvel-Multiverse erstellen, für dessen Handhabung bedingt durch den Umfang jedoch besonders starke Oberarme erforderlich wären.
Für die Netzschwinger-Sphären muss an dieser Stelle, was die 2010er betrifft, an allererster Stelle natürlich
"Spider-Verse" genannt werden, bei dem der langjährige "Oberspinner" Dan Slott zum großen Vergnügen der Fans nicht nur zahlreiche bereits bekannte alternative Spideys sowohl aus Comics als auch Adaptionen für andere Medien, sondern auch diverse Neuschöpfungen aufeinandertreffen ließ. Als besonders beliebt erwies sich die Gwen Stacy von Erde-65, die ihr Debüt in "Edge of Spider-Verse" 2 feierte und – da sich Marvel bekanntlich nie lukrative Gelegenheiten entgehen lässt – kurze Zeit später in der fünfteiligen Miniserie "Spider-Gwen" eine noch größere Bühne erhielt.
Bühne ist auch das passende Stichwort, denn Gwen Stacy ist Schlagzeugerin der Band The Mary Janes, die drauf und dran ist, in New York City zum nächsten heißen Ding zu werden. Als hinderlich für die Nerven ihrer musikalischen Mitstreiterinnen und die gemeinsame Karriere erweist sich allerdings das Geheimnis, das der Blondschopf mit sich herumträgt: Der Biss einer radioaktiven Spinne hat ihr übermenschliche Kräfte verliehen, die sie zum Wohle der Mitmenschen für das Gute einsetzen will. Gar nicht so einfach allerdings, denn einerseits schleppt sie den emotionalen Ballast mit sich, für den Tod von Peter Parker verantwortlich zu sein, andererseits macht ausgerechnet ihr eigener Vater George Stacy als Polizeibeamter Jagd auf sie.
Zugegeben: Der flapsige Zeichenstil von Robbi Rodriguez ist ebenso Geschmackssache wie das Kostümdesign dieser Spider-Woman (die türkisen Schuhe sehen eher aus wie Badeschlappen), aber am ungemein erfrischenden Charakter von Jason Latours Story lässt sich nichts aussetzen. Die Gwen Stacy, auf die wir hier treffen, vereint nicht nur alle wichtigen Spidey-Trademarks auf sich (große Verantwortung aus großer Kraft, eine tragische Motivation zum Heldendasein und die Mühen der Teenie-Ebenen), sondern präsentiert sich abseits ihrer sattsam bekannten
Opferrolle in der Marvel-Hauptrealität als starke Protagonistin, in der sich ein junges und vor allem weibliches Publikum sicherlich wiederfindet. Und das ist auch nötig, um die trotz aller positiven Entwicklungen noch immer sehr männerdominierten Strukturen von Superhelden-Comics weiter aufzubrechen!