Unheilvolle Prophezeiungen sollte man ebenso ernst nehmen wie politische Ränke, erst recht wenn sich beides unter der flirrenden Sonne der Südsee verbindet.
Demnächst ist es auch schon wieder fünf Jahre her, dass sich Schreiber & Leser an seine mustergültige Neuausgabe eines der europäischen Comic-Meilensteine schlechthin gemacht und neben der farbigen Variante jeweils auch eine (teilweise bereits vergriffene) schwarzweiße Klassik-Edition für die Puristen unter den Fans von Hugo Pratt im Portfolio hat. In absehbarer Zeit wird mit dem letzten noch fehlenden Band um das sagenhafte Reich Mu ("Mu la città perduta") das Dutzend an Bänden aus der Feder von Corto Malteses Schöpfers vollständig sein, doch haben sich mit Juan Díaz Canales und Rubén Pellejero zwei kreative Köpfe der Aufgabe angenommen, der Geschichte neue Kapitel hinzuzudichten.
Nach
"Unter der Mitternachtssonne" und
"Äquatoria" liegt nun der dritte Streich der Spanier vor, der die wohl berühmteste Szene überhaupt aufgreift, die Signore Pratt seinem Protagonisten bereits in der allerersten Erzählung auf den Leib schrieb und zeichnete: Corto trieb zu Beginn von
"Südseeballade" auf einem hölzernen Andreaskreuz mutterseelenallein im Meer, laut eigener Aussage hatte sich die Besatzung seines Schiffs seiner entledigt. "Tarowean – Tag der Überraschungen" schließt den erzählerischen Kreis, in dem es kurz vor diesem Ausgangspunkt der Maltese`schen Abenteuer endet und so enthüllt, was den Kapitän zum sonnengebräunten Treibgut werden ließ.
Aber darf man denn bei einer Serie, die stets Interpretationsspielraum zwischen Dichtung und Wahrheit, zwischen tatsächlichen Ereignissen und fantastischen Träumereien ließ, ein derartiges Mysterium enthüllen? Wer sich zum Pratt-Apologeten berufen fühlt, könnte ob dieser grundsätzlichen Entscheidung des Kreativduos trefflich streiten, außer Frage steht aber, dass die Sache unglaublich elegant und – was besonders wichtig ist – auch im Geiste und den "Spielregeln" des Originals entsprechend gelöst worden ist, vom unwiderstehlichen Artwork Rubén Pellejeros ganz zu schweigen. Der italienische Meister wird sicherlich wohlwollend von seinem Platz im Comic-Pantheon auf seine Nachfolger hinabblicken, das lässt sich wohl gefahrlos annehmen.
Noch wichtiger ist aber natürlich die Ausgestaltung des Weges, der Cortos unfreiwilliger Einzelfahrt über die Südsee des Jahres 1913 vorausgeht. Juan Díaz Canales fährt eine Story auf, die in bester Tradition der Serie historische und literarische Motive ebenso aufgrifft wie Mythen und Legenden, wenn er unseren Seemann auf den zunächst schweigsamen Calaboose treffen lässt, der sich unsterblich in eine Meeresnixe verliebt, bei der es sich eigentlich um eine gelähmte Holländerin handelt. Die Rückkehr aus der erzwungenen Verbannung auf die Heimatinsel ist da nur noch Formsache, allerdings der dortigen Königin gar nicht recht. Und da gibt es ja auch noch den allseits bekannten Mönch… beziehungsweise mehrere Mönche, wie wir nun erfahren. Seemannsgarn mit einem Augenzwinkern in Panelform geht nicht besser!