Weit voneinander entfernt und doch miteinander verbunden kommen sowohl Norton und Dr. Xu als auch Pater Fred und Clara der unheimlichen Schwarzen Scheune immer näher.
Jeff Lemire ist in den letzten Jahren zweifellos zu einem der wichtigsten Autoren der amerikanischen Comic-Zunft aufgestiegen, sei es durch seine Arbeit für die "Big Two" Marvel und DC oder im Rahmen von Eigenschöpfungen wie dem fleißig expandierenden Universum von
"Black Hammer" oder der berührenden Sci-Fi-Perle
"Descender". Den beiden letztgenannten Serien ist gemein, dass sie in unseren Breiten bei Splitter erscheinen, und mit "Gideon Falls" haben sich die Bielefelder ein weiteres Highlight aus der Feder des Kanadiers geschnappt, dessen TV-Adaption binnen kürzester Zeit nach dem Start im Frühjahr 2018 angekündigt wurde und die erste Ausgabe zum gesuchten Spekulationsobjekt avancieren ließ.
Der zweite Sammelband der Saga macht konsequent dort weiter, wo der erste aufgehört hat, nämlich mit der beinahe obsessiven Suche zweier Parteien nach dem Geheimnis der sogenannten Schwarzen Scheune. Besagtes Gebäude hat, wie wir erfahren, offenbar seit dem Herbst 1886 für einen hohen Blutzoll in der titelgebenden Gemeinde gesorgt, und beschäftigt einerseits den in das Provinznest versetzten Pater Fred und die Polizistin Clara und andererseits den als psychisch krank abgestempelten Norton Sinclair, der die zunächst klarerweise skeptische Ärztin Dr. Xu von seiner Mission überzeugen konnte. Dafür haben die beängstigenden Visionen gesorgt, die alle von ihnen immer wieder erleben, seien es Erinnerungen an die Vergangenheit oder die grinsende Visage eines Unbekannten in der Finsternis.
"Erbsünden" spannt den unheimlichen Bogen bis zum Zerreißen weiter mit neuen Rätseln, die sich aus den kurz zuvor präsentierten Antworten ergeben. Warum finden sich im Haus von Joe Reddy, dem mutmaßlichen Entführer von Claras Bruder, Bilder von Norton? Und ist er der verschwundene Daniel Sutton? Und was weiß der Bischof, was sein Untergebener, der gefallene Priester Fred, nicht weiß? Jeff Lemire gibt hier jedenfalls feinfühligen Horror zum Besten, der ganz ohne plumpe Schockeffekte auskommt und gerade deshalb enorme Spannung entfaltet. Seinen völlig gleichberechtigten Teil dazu trägt Andrea Sorrentinos superbes Artwork dar, das seit
"I,Vampire" und "Old Man Logan" noch weiter perfektioniert wurde und besonders bei den "gespiegelten" Szenen fasziniert. Ein ganz großer Wurf und zurecht mit einem Eisner Award geadelt!