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Clans, Gilden und Gamefamilies

Computerspiel-Gemeinschaften prägen den virtuellen Alltag in vielen Online-Spielen. Mehr noch: Online-Spiele werden häufig erst durch Gamefamilies richtig reizvoll und motivieren langfristig.

(C) Juventa Verlag / Clans, Gilden und Gamefamilies / Zum Vergrößern auf das Bild klickenWie bilden sich Clans und Gilden? Welche Faktoren prägen die Entstehung und Entwicklung von Spielgemeinschaften? Welche Ursprünge haben soziale Prozesse in Online-Gemeinschaften? Welche Zusammenhänge zwischen der virtuellen Interaktion in Computerspiel-Gemeinschaften und jener bei realen Gemeinschaften gibt es? Martin Geisler serviert mit "Clans, Gilden und Gamefamilies – Soziale Prozesse in Computerspielgemeinschaften" einen fundierten und spannenden Beitrag zu den Game Studies. Die wissenschaftlichen Wurzeln des Buchs – schließlich handelt es sich um die gekürzte Dissertation Geislers – wirken keineswegs irritierend. Fachausdrücke werden verständlich erklärt, komplexe Zusammenhänge anschaulich beschrieben.


Ausgehend vom emotional geleiteten, vorurteilenden Mythos, wonach sich Kinder und Jugendliche zunehmend von der Welt "abkapseln", in virtuellen Spielwelten Zeit "verschwenden" und dort "süchtig" werden, ist dem Autor eine sachliche Herangehensweise wichtig: Er verlangt ein genaues Hinschauen, fordert ein Hinterfragen der Motive: Warum wenden sich Jugendliche und Erwachsene virtuellen Spielwelten zu? Wie integrieren sie die Computer- und Videospiele in den Alltag? Verändern sich dadurch Sozialbeziehungen?


"So bietet der Computer, mit seiner Einbeziehung sämtlicher anderen Medien, einen Erlebnisraum, in dem jeder User Teil einer großen Gemeinschaft ist und gleichzeitig die Möglichkeit besitzt, sich in einem sich entwickelnden Feld auszubreiten und es zu prägen."
(S. 34)


Geisler kommt zum Schluss, dass das Medium Computerspiel mit dem Siegeszug des Internets das Fundament für die Ausprägung vollwertiger Gemeinschaftsstrukturen bildet. Eine Basis für soziale Strukturen, die damit das oberflächliche Bild von in virtuellen Welten "vereinsamenden Jugendlichen" bereits hinter sich gelassen haben: Mit Stand 2008 waren im deutschsprachigen Raum bereits über eine Million Spieler offiziell organisiert. Geisler spricht von sozialen Gruppen, welche netzwerkartig – sowohl online als auch in realen Räumen – aktiv sind. Der Autor zitiert in diesem Zusammenhang Jürgen Fritz (S. 15):

"Mit den virtuellen Gemeinschaften sind neue Sozialräume entstanden, die in enger Wechselwirkung zu den sozialen Gruppen, den Gemeinschaften, den Kulturen und den Gesellschaften der realen Welt stehen."


Man trifft sich nun online wie offline. Und wie im wirklichen Leben auch gibt es dabei manchmal Beteiligte, die in Abhängigkeit zu virtuellen Welten geraten, wobei reale Beziehungen darunter leiden. Dies ist eine Gefahr, die keineswegs unterschätzt werden darf, stellt jedoch die Ausnahme von der Regel da.


Wie im Vorwort des Buchs von Fritz treffend auf den Punkt gebracht wird, öffnet sich mit der Untersuchung Geislers der Blick für gesellschaftliche Entwicklungen einer zunehmend globalisierten Gesellschafts- und Arbeitswelt. Virtuelle Räume und Netzwerke dienen der Komprimierung von Arbeitszeit und Effektivitätssteigerung vieler Arbeitsprozesse. Fritz erkennt in der zunehmenden Popularität von virtuellen Online-Games ein Spiegelphänomen. Somit könne von einer "globalisierten Interaktion" gesprochen werden: Virtuelle Spielwelten dienen als Übungsräume. Räume, die auf spielerische Art und Weise die Rahmenbedingungen und Dynamiken einer sich dramatisch ändernden Berufs- und Freizeitwelt simulieren und damit widerspiegeln. Eine vollständige Verlagerung des Realen zu Gunsten des Virtuellen wird weder als wahrscheinliche Norm noch als anzupeilendes Ziel erachtet. Vielmehr spiele die Balance zwischen realen und virtuellen sozialen Dynamiken sowie deren Wechselbeziehungen eine tragende Rolle. Und zwar nicht nur aus medienpädagogischer, sondern insbesondere aus gesellschaftspolitischer Perspektive.


Geislers Blick auf soziale Dynamiken in Spielgesellschaften ist dennoch klar medienpädagogisch gefärbt: Rahmen, Strukturen und Entwicklungen von Clans, Gilden und Gamefamilies werden nach unterschiedlichen Gesichtspunkten analysiert: Welche Rolle spielen Alter, Geschlecht, Bildung und soziales Umfeld für die Entstehung und für das Gedeihen von Spielergemeinschaften? Gesellschaftspolitische Aussagen sind als Subtext der Studie aber durchaus erkennbar, so schreibt der Autor im zusammenfassenden letzten Kapitel:

"In den Spiel- und Erlebnisräumen agieren die Clanspieler als Architekten ihrer eigenen Sozialwelt, welche sich deutlich an den Werten und Normen ihrer Alltagswelt orientiert."
(S. 253)


Und:

"Clans sind Anzeichen dafür, dass sich längst auch soziale Prozesse im Internet und auf anderen Plattformen vollziehen."
(S. 254)


Fazit: "Clans, Gilden und Gamefamilies" eröffnet einen hochinteressanten medienpädagogischen Einblick in soziale Dynamiken von Online-Spielgemeinschaften und deren menschlichem Zusammenleben. Die Grundhypothese lautet: Virtuelle Welten sind Übungsräume einer globalisierten Welt und für die damit einhergehende, zunehmend virtuell vernetzte und online kooperierende Gesellschaft.



# # # Karl H. Stingeder # # #



Publisher: Juventa Verlag





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