Jeder, der es geschafft hat, ist froh, der Insel entkommen zu sein. Doch der Traum von einem besseren Leben platzt wie eine Seifenblase.
Immer den Tod vor Augen schleppen sie sich ans rettende Ufer. Sie haben nichts außer den Kleidern am Leib. Sie sind die Ungeliebten der Gesellschaft. Alte, Kranke, Arme und Verbrecher. Man war ihres Anblicks überdrüssig und verbannte sie aus der gemeinsamen Mitte auf eine abgeschottete Insel. Dort erwartete die Verstoßenen nichts als Elend und Tod, während sie dem Rest der Bevölkerung als Ersatzteillager dienten. Nun ist es einem aus ihren Reihen gelungen, die Killersatelliten, die die Insel umkreisen abzuschalten und zum Absturz zu bringen. Jeder der kann verlässt das Eiland in der Hoffnung, auf dem Festland ein besseres Leben beginnen zu können.
Diese Idee treibt auch die kleine Gruppe unter der Führung des ehemaligen Gauners Clancey an die Gestade der verheißungsvollen Stadt. Doch kaum hat man den Strand hinter sich gelassen, macht sich die Ernüchterung breit. Die ehemals Sicherheit versprechende Stadt hat sich in einen Albtraum verwandelt. Eine gnadenlose Sicherheitsbehörde geht mit unbeschreiblicher Brutalität gegen die Bevölkerung vor, eine unheimliche Krankheit breitet sich scheinbar ungebremst aus, während das letzte bisschen Ordnung in Tod und Barbarei zu versinken droht.
Die vom Verlag gewählte Beschreibung als Thriller wird "Die Gefallenen" nicht gerecht, denn sie greift zu kurz. Neben typischen Elementen eines Thrillers ist der Roman von Peter Liney eine düstere Vision einer nicht allzu weit entfernten Zukunft, in der gleichgeschaltete Massenmedien und der rasante technische Fortschritt in einen Überwachungsstaat münden, der sich seiner schwächsten Elemente einfach entledigt. Wer nun eine auf ein breites Publikum zugeschnittene Dystopie wie "Die Tribute von Panem" erwartet, dürfte enttäuscht oder sogar schockiert sein, denn was den Leser hier erwartet, ist ungeschminkt und brutal.
Hier gibt es keine Umschreibungen oder Masken, hinter denen sich das Regime verbirgt. Liney inszeniert eine abstoßende Tötungsmaschinerie, in der die Bessergestellten ungestraft Jagd auf den Ausschuss der Gesellschaft machen. Die geschilderten Vorgänge sind sicherlich schwer zu ertragen, dürften aber hinter den tatsächlichen Gräueltaten der Vergangenheit und Gegenwart zurückbleiben, man muss sich nur einmal die aktuellen Verbrechen des IS vor Augen führen.
Offensichtlich und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, übt Liney in seinem Werk Kritik an den Massenmedien. Die von ihm beschriebene Gesellschaft wird erst möglich durch einen Medienapparat, der gezielt manipuliert und kontrolliert und jeden Versuch, aus dem System auszubrechen, gnadenlos bestraft. Natürlich ist "Die Gefallenen" in weiten Teilen immer noch ein Roman, der unterhalten soll, dabei aber den Leser auffordert, sein Hirn nicht auszuschalten, sondern auch zwischen den Zeilen zu lesen, denn so weit entfernt erscheint das geschilderte Szenario nicht. Nein, an mancher Stelle erscheint es einem sogar seltsam vertraut.
Viele Thriller sind leider oft ein Sammelbecken an Stereotypen. Sie begeistern mit einem mitreißenden Plot, schmälern das Lesevergnügen aber mit hölzernen Charakteren. Lineys Figuren sind da erfrischend anders. Die Hauptfigur ist ein ehemaliger Mann fürs Grobe, der nun im Rentenalter alles versucht, seine Lieben vor dem Schlimmsten zu bewahren. An seiner Seite agieren seine blinde Lebensgefährtin, ein in die Jahre gekommener Computernerd und einige Straßenkinder, die bereits zu viel in ihrem erst kurzem Leben gesehen haben.
Der Schreibstil ist flüssig und man kann der Geschichte problemlos folgen. Schnell nimmt die Hölle der nicht näher benannten Stadt Gestalt an. Schwierig wird es für den Leser jedoch, die anfängliche Planlosigkeit des Plots hinter sich zu lassen. Über 100 Seiten lang hat man keine Ahnung, wohin die Reise denn nun eigentlich genau gehen soll. Ohnmächtig und ziellos stolpert man mit den Protagonisten durch einen Moloch der Gewalt und Anarchie, ohne ein Ziel zu erkennen. Dies dürfte den einen oder anderen Leser entnervt aufgeben lassen, was schade ist, denn im weiteren Verlauf wird man mit einer intelligenten Story für sein Durchhaltevermögen entschädigt.
"Die Gefallenen" ist der zweite Band einer Trilogie, was jedoch kaum ins Gewicht fällt, denn obwohl gelegentlich Bezug auf vergangene Ereignisse genommen wird, kann man dem Geschehen problemlos folgen. Peter Liney hat die nicht unbedingt neue Idee eines Überwachungsstaats der totalen Kontrolle in eine neue Form gegossen, die nur noch in Nuancen von der Realität abweicht. Wer bei seiner Lektüre auch einmal zum Nachdenken angeregt werden möchte, dürfte mit diesem Thriller nichts verkehrt machen.