Neil Gaimans Gruselgeschichte ist nicht nur als Roman, Comic oder Spielfilm einen Blick wert. Auch die Hörbuchfassung ist ein tolles Erlebnis, dass sich niemand entgehen lassen sollte!
"Es ist erstaunlich, wie viel von dem, was wir sind, von den Betten abhängt, in denen wir morgens aufwachen, und es ist erstaunlich, wie zerbrechlich das sein kann!" philosophiert die kleine Coraline. Sie ist ein aufgewecktes, ein neugieriges Mädchen. Durch und durch eine Entdeckernatur! Gerade erst mit ihren Eltern in eine neue Wohnung in einem alten Haus gezogen, gibt es dort auch jede Menge zu entdecken. Ihre Eltern sind sowieso viel zu beschäftigt, um ihrer kleinen Tochter ernsthafte Aufmerksamkeit zu schenken.
Im Haus wohnt noch ein schrulliger alter Mann, der behauptet einen Mäuse-Zirkus zu trainieren; nur leider sind die Artisten noch nicht mutig genug, um vor Publikum aufzutreten. Außerdem wohnen hier auch zwei liebenswerte alte Damen. Sie sind ehemalige Stars der Bühnen dieser Welt und scheuen auch nicht davor zurück dies zu betonen. Alles nicht sehr aufregend. Auch die herumstreunende schwarze Katze gibt nicht viel her. Coraline wünscht sich mehr Abenteuer und tollere Eltern.
Wie es bei Kindern nun mal so ist, ist Verbotenes immer am interessantesten. So ist es auch mit der "guten Stube". Ein Zimmer, immer verschlossen und mit den guten Möbelstücken ausgestattet. Coraline weiß aber wo der Schlüssel ist. In der guten Stube findet sie eine weitere Tür, die aber vermauert ist. Ihr Mutter hat eine typisch rationale Erwachsenenerklärung auf Lager, mit der sich Coraline aber nicht zufrieden gibt. Als sie in der Nacht ein eigenartiges Geräusch hört, findet sie als Ursache die nun offen stehende geheimnisvolle Tür. Nicht einmal der dunkle Gang kann sie davon abhalten, durch die Tür zu gehen. Als sie auf der anderen Seite heraustritt, steht sie… in ihrer eigenen Wohnung.
Alles scheint gleich zu sein, aber doch irgendwie anders. Ihre Mutter ruft sie aus der Küche. Besser gesagt ihre "andere" Mutter, denn diese hier hört sich zwar an wie ihre Mutter, sieht aber irgendwie anders aus. Die Finger sind spinnenartig lang, genauso wie die Glieder und anstelle von Augen hat sie zwei pechschwarze Knöpfe. Aber Coraline hat keine Angst, dafür ist sie zu taff. Außerdem riecht es viel zu gut nach Essen und ihre "anderen" Eltern scheinen liebenswert zu sein. Auch die schwarze Katze ist in dieser Parallelwelt, nur hier kann sie sprechen. Eigentlich ist es ein Kater, einen Namen hat er nicht und von sich selbst überzeugt ist er über alle Maßen.
Ihre "anderen" Eltern schwärmen Coraline von einer glücklichen Familie vor, sie wollen sie bei sich behalten. Doch das aufgeweckte Mädchen durchblickt bald den trügerischen Schein. Sie kehrt durch die Tür nach Hause zurück, in ihr langweiliges aber aufrichtiges Leben – was sich aber als schwierig erweist: Ihre Eltern sind spurlos verschwunden. Der schwarze Kater zeigt ihr, dass ihre Eltern hinter dem großen Spiegel im Gang eingesperrt sind. Sicherlich ein gemeiner Plan von der fiesen "anderen" Mutter, um Coraline in ihre Arme zu treiben. Unsere kleine Heldin nimmt ihren gesamten Mut zusammen und kehrt zurück in die "andere" Welt, um ihre Eltern zu retten. Diese sind aber nicht die einzigen Seelen die gerettet werden wollen. Coraline stellt sich ihren Ängsten und ihrer "anderen" Mutter, die sich als fiese Kinderfängerin herausstellt.
Neil Gaiman hat ein faszinierendes Kinderbuch geschrieben. Schlicht und schnörkellos erzählt er die Geschichte der jungen Coraline mit subtilem Horror, der langsam die Nervenbahnen entlang schleicht. Die Atmosphäre ist dicht. Sofort fühle ich mich teilweise in meine eigene neugierige und von Entdeckungen geprägte Kindheit versetzt. Gemeinsam erforschen Coraline und ich die zwei Welten, treffen auf vergessene Seelen in düsteren Räumen, schaurige Wesen mit bösen Absichten, sprechende Hunde und Katzen sowie singende Mäuse. Geschickt versucht die "andere" Mutter ihr Netz zu spinnen. Während es mir immer wieder schaurig-schön gruselt, behält die mutige Coraline ihre Nerven.
Gelesen wird das Hörbuch von Anna Thalbach. Ihre leicht rauhe Stimme, die etwas kühl vorträgt, ergänzt die Stimmung hervorragend. Die kleine Coraline und Anna Thalbachs Stimme passen perfekt zueinander. "Coraline" ist ein wunderbares Hörbuch für mutige Kinder und Erwachsene, die ihre Kindheit noch nahe am Herzen tragen und einen Sinn für gruselige Märchen der anderen Art haben. Eine klare Hörempfehlung!
# # # Andreas Himmetzberger # # #