Anhand der von 1992 bis 1995 belagerten ostbosnischen Stadt Goražde schildert Joe Sacco in diesem beeindruckenden Band Wahnsinn und Elend des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien.
Viel ist geschrieben worden über den einzigen und letzten bewaffneten Konflikt in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der sich von 1991 bis 1995 auf dem Balkan zugetragen hat. Einen wesentlicher Teil der komplexen Geschehnisse während Bürgerkriegs zwischen den ehemaligen Bundesbrüdern des von Tito autoritär regierten Staatenkonstrukts, die leider nur allzu oft von westlichen Stimmen vereinfacht und aus ihrem eigenen Kontext gerissen worden sind, nimmt der sogenannte Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 ein. Mit der Unabhängigkeitserklärung der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowinas durch Präsident Alija Izetbegović im April 1992 geriet das Fass endgültig zum Überlaufen, nachdem es bereits jahre- und monatelang zuvor mit Ressentiments aller Art aufgefüllt worden war. Von nationalistischen und chauvinistischen Eiferern, die dafür sorgten dass auch das weitgehend friktionsfreie Zusammenleben serbischer und muslimischer Nachbarn im an der Drina gelegenen Goradže ein Ende nahm.
Die Stadt wurde mehrmals von serbischen Truppen angegriffen, konnte aber im Gegensatz zu anderen, von der weitgehend ohnmächtigen UN eingerichteten "Schutzzonen" wie Srebrenica oder Zepa, gehalten werden – wenn auch für den Preis teilweise totaler Abschirmung von der Außenwelt. Ihre Verteidiger waren Studenten, Arbeiter, normale Leute, die aus ihrem Leben herausgerissen worden waren und nun ihren ehemaligen Freunden oder Nachbarn gegenüberstanden. Ohne ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Brennstoff oder Waffen und isoliert von militärischer Unterstützung. In diesen Hexenkessel aus Hunger, Verzweiflung und Tod wagten sich ausländische Journalisten, um abseits des medial vorgeführten, ebenso belagerten Sarajewo über die Situation der Menschen vor Ort zu berichten und die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit hierher zu lenken. Einer von ihnen war der Amerikaner Joe Sacco, und vorgefunden hat er vor allem junge Menschen, die erschreckend schnell gealtert sind und in eine eigene, perverse Art von Kriegsalltag versetzt wurden.
Jeder hat seine Geschichte, falls ihn die traumatischen Ereignisse nicht verstummen haben lassen. Sacco saugt sie ihn sich auf, bringt sie zu Papier und wird so unweigerlich zu einem kleinen Teil des Großen. In diesem Mikrokosmos aus Ängsten und Hoffnungen verändern sich die Wertigkeiten, eröffnen sich neue Perspektiven auf den Wert des Lebens. Da werden "Drina"-Zigaretten zum rauchbaren Symbol von Widerstand und Durchhaltekraft ebenso wie Levi’s 501er Jeans oder eine verdreckte Ausgabe des "Time Magazine" nun verklärtes Tor zum vermeintlichen Paradies der westlichen Welt sind. Zu eben jenen Ländern, die zwar Friedenstruppen entstand haben, aber dem Gemetzel weitgehend teilnahmslos gegenüber stehen. Ihre Männer handeln (oder auch nicht) auf Befehl "von oben", ebenso wie die serbischen Tschetniks und Truppen der JNA, die die Stadt von den umliegenden Hügeln aus in Beschuss nehmen.
Joe Saccos unbestreitbarer Verdienst ist es, mit "Bosnien" nicht nur eine persönliche Perspektive des Bosnienkrieges anhand Goradže abgeliefert haben. Das haben genug internationale Journalisten vor ihm getan, und das obwohl sie teils ihre eigenen Schlagzeilen kreiert oder sogar das Blut unschuldiger Zivilisten an ihren Händen kleben haben, ohne auch nur einen einzigen Schuss aus einer Waffe abgefeuert zu haben. Nein, Joe Sacco räumt seine subjektiv gefärbte Berichterstattung der Geschehnisse offen ein, weist auf Spekulationen und Gerüchte ebenso hin wie auf klare Tatsachen. Inmitten einer aufgrund der Komplexität des Themas nur fragmentarisch möglichen historischen, politischen und militärischen Abhandlung des Konflikts platziert er seine lokalen Bekanntschaften und ihre ganz persönliche Geschichte. Für dieses ambitionierte und empfehlenswerte Werk, das sich in mehrere verschieden akzentuierte Abschnitte teilt, hat er 2001 verdientermaßen einen der begehrten "Eisner Awards" erhalten. In der Edition Moderne ist vom Begründer des Comic-Journalismus bereits letztes Jahr "Palästina" erschienen, für nächstes Jahr ist "Gaza" abgekündigt.
# # # Andreas Grabenschweiger # # #