Kurt Busiek und Alex Ross lieferten mit "Marvels" die definitive Superhelden-Graphic Novel der 1990er Jahre ab.
Für nicht wenige Comic-Leser stellt die letzte Dekade des vergangenen Jahrhunderts ein eher dunkles Kapitel in der Geschichte ihrer heißgebliebten Spandexträger dar. Angefacht durch eine unrealistische Goldgräberstimmung waren Comics teilweise zu bloßen Spekulationsobjekten verkommen, die die Verpackung mit immer neuen Cover-Gimmicks und limitierten Sonderausgaben über den Inhalt stellten. Die beiden Branchenriesen Marvel und DC wehrten sich verzweifelt gegen die Konkurrenz der "jungen Wilden" von Image, die oftmals grafischem Bombast Vorrang vor erzählerischer Qualität einräumten.
Ausgerechnet 1994, als die riesige Spekulationsblase bereits dabei war zu platzen, erschien die Miniserie "Marvels" und machte ihre beiden Schöpfer zu Superstars. Während Autor Kurt Busiek damit seinen Ruf als wandelndes Lexikon der Marvel-Geschichte etablierte, sorgte Alex Ross mit seinen realistischen, gemalten Artworks für Furore, welche die überproportionierten, waffenstarrenden und per Computerkolorierung gepimpten Superhelden jener Tage perfekt konterkarierten. Auch 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung hat die Geschichte, die dem Titel nach von Marvels Heroen, aber im Grunde vom Fotoreporter Phil Sheldon als Vertreter des Mannes von der Straße handelt, nichts von ihrem Glanz verloren.
Der erzählerische Bogen, der sich entlang der großen und vielen kleinen Ereignisse der Marvel-Historie spannt, enthält nicht mehr und nicht weniger als die kongeniale Verneigung vor den kreativen Köpfen, denen wir die Grundlagen für unendliche Stunden an Comic-Spaß zu verdanken haben: Legenden wie Stan Lee und John Romita Sr., die auch im vorliegenden Band zu Wort kommen – neben Kurt Busiek und Alex Ross, dessen Vorstudien im Anhang interessante Einsichten dieser mittlerweile dritten deutschsprachigen Veröffentlichung von "Marvels" (nach Feest 1995 und
Panini 2009) bieten.