Wenn man die Menschen in Madrid fragt, wer für sie der Inbegriff des aufrichtigen und tugendhaften Gläubigen sei, so fällt immer wieder ein Name: Ambrosio.
In den Straßen von Madrid gibt es nur noch ein Thema, die mitreißenden und bewegenden Predigten des jungen Mönchs Ambrosio. Besonders bei den jungen Damen der gehobenen Gesellschaft erfreut sich der attraktive Geistliche großer Beliebtheit. Wenn Ambrosio die Messe liest, platzt das Gotteshaus aus allen Nähten, jeder will das außergewöhnliche Talent in Augenschein nehmen. Eine der wenigen Gelegenheiten, den Mönch bei seiner Arbeit zu erleben, ist dann auch die Kulisse für das erste Treffen der schönen aber mittellosen Antonia Dalfa und des Adeligen Don Lorenzo de Medina.
Es bedarf nur weniger Augenblicke und die beiden haben sich ineinander verliebt. Um die gesellschaftliche Distanz zu mildern, verspricht de Medina, seinen Freund Raymondo de las Cisternas um finanzielle Unterstützung für die verarmte Antonia zu bitten. Raymondo ist dem Vorschlag seines Freundes nicht abgeneigt, allerdings braucht auch er Hilfe in Liebesangelegenheiten. Lorenzo staunt nicht schlecht, als Raymondo ihm gesteht, sich in seine Schwester verliebt zu haben, die pikanterweise das Gelübde zur Nonne abgelegt hat und nun im örtlichen Kloster lebt. Trotz der widrigen und gefährlichen Umstände ist Lorenzo bereit, seinem Freund beizustehen. Gemeinsam planen sie Agnes, der Schwester Lorenzos, bei der Flucht aus dem Kloster zu helfen.
Kurz bevor es so weit ist, verliert Agnes während der Beichte einen Brief Lorenzos mit kompromittierenden Inhalt. Ambrosio kennt keinerlei Gnade und übergibt die junge Frau der Äbtissin, die an Agnes ein grausames Exempel statuieren lässt, obwohl diese ein Kind erwartet. Agnes verflucht den jungen Mönch. Kaum dass die Worte gesprochen wurden, beginnt sich auch schon ein feines Netz um den jungen Glaubensträger zu spinnen, das ihn in den Abgrund und seine Seele auf ewig in die Verdammnis reißen wird. Selten zuvor war der Fall eines vermeintlich tugendhaften Menschen so hoch wie im Fall des jungen Mönchs.
Langsam fragt man sich, wie die Produzenten von Titania Medien das bloß machen? Immer wenn man meint, dass die wirklich guten Stoffe der Schauer- und Gruselliteratur bereits alle vertont sind, zaubern sie eine weitere bisher unbekannte Perle des Genres aus dem Hut. Um eine solche handelt es sich auch bei "Der Mönch" des britischen Schriftstellers Matthew Gregory Lewis, das zu seinen großen schriftstellerischen Erfolgen zählt und ganz in der Tradition der britischen Schauergeschichte steht. Das tritt dann allerdings erst im späteren Verlauf der Handlung zutage und begegnet dem Hörer erst gegen Ende der ersten CD. Neben den übernatürlichen Elementen kommen in "Der Mönch" weitere Themenbereich zum Tragen, die zum Zeitpunkt des Erscheinens sicherlich für einen Paukenschlag gesorgt haben dürften.
Lewis scheute nicht davor zurück, zwei Tabuthemen in seine Geschichte einfließen zu lassen, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Handlung ziehen. Mit scheinbar diebischer Freude entreißt er der katholischen Kirche ihr Deckmäntelchen des aufrechten und glaubenstreuen Christen. Ohne Scheu zeigt er die Scheinheiligkeit der Vertreter von Gottes Willen auf Erden und welche Maßstäbe für Würdenträger und die übrigen Gläubigen gelten. Der Autor arbeitet diese Bigotterie an seiner Hauptfigur, dem Mönch Ambrosio, ab. Ohne Gnade wird eine junge Frau für einen einzigen Fehltritt dem Tode preisgegeben, während der in seinem Glauben doch so unerschütterliche Mönch immer weiter vom rechten Weg abkommt und die Gesetze der heiligen Mutter Kirche mit Füßen tritt.
Daneben etabliert Lewis eine erotische Komponente in seinem Text, die auch vor den Mauern der Kirche nicht haltmachen und für das 18. Jahrhundert skandalverdächtig gewesen sein dürften. Wieder einmal gelingt es Titania Medien, diese Vielschichtigkeit der Geschichte ohne Verluste ins Hörspiel zu transportieren. Zwar ergeben sich daraus gerade zu Anfang einige Längen und es wird dem Hörer nicht leicht gemacht, dem Dialog in der Kirche zu folgen, aber dafür wird er mit einer ausführlichen und gut durchdachten Adaption des Schauerromans belohnt. Selbst bei mehrmaligem Hören begegnen einem immer noch neue Aspekte der Geschichte, die beim ersten oder zweiten Durchlauf nicht bewusst wurden. Jeder, der eine akustische Bearbeitung bevorzugt, die sich eng ans Original hält und dabei auf höchste Standards auf Seiten der Produktion setzt, kann hier blind zugreifen.
Musik und musikalische Untermalung sind eigentlich permanent vorhanden und liefern eine passende Untermalung für die geführten Dialoge. Dabei kommen fast ausschließlich klassische Stücke zum Einsatz, die hervorragend mit den düster-romantischen Inhalt von "Der Mönch" harmonieren. Geräusche finden, wie bei vielen Produktionen innerhalb des "Gruselkabinett" nur eine dezente Verwendung, um den einzelnen Szenen mehr Tiefe zu verleihen und einen realistischeren Anschein zu erwecken.
Es dürfte eine große Herausforderung für jeden Schauspieler sein, einen Charakter zu verkörpern, der innerhalb einer Geschichte sein komplettes Auftreten und Verhalten ändert. Mit David Nathan wurde ein Sprecher gefunden, der dieser Aufgabe nicht nur gewachsen ist, sondern dem es dazu noch gelingt, der Figur des Mönchs Ambrosio seinen individuellen Stempel aufzudrücken. Bisher gab es nur wenige Hörspielproduktionen, denen es gelungen ist, die vielen Facetten von Nathans Stimme so hervorzuarbeiten.
Nur wenige Episoden des "Gruselkabinett" warten mit einem derartig großen Sprecherensemble auf wie "Der Mönch". Fast 20 Stimmen erwecken Lewis' Schauerroman zum Leben. Unter den vielen gut gewählten Akteuren leuchten die Namen zweier Hörspiel-Legenden hervor, die bereits unzählige Produktionen mit ihrem Namen veredelten, Dagmar von Kumin und Eckart Dux, die auch dieses Mal ihr ganzes Können unter Beweis stellen.
Dazu kommen bekannte Namen wie Hasso Zorn, Patrick Bach und Marie Bierstedt, die allesamt zur ersten Garde dieses Mediums zählen. Überhaupt gibt es keine Ausfälle oder schwächere Leistungen zu beklagen, wer hier für eine Rolle gebucht wurde, versteht sein Handwerk. Trotz der stattlichen Anzahl von nun über 80 Folgen sind keine Verschleißerscheinungen zu erkennen. Scheinbar ohne Mühe werden in wohltuender Regelmäßigkeit immer wieder erstklassige Hörspiele auf den Markt gebracht, die die Messlatte sowohl inhaltlich als auch produktionstechnisch für die Konkurrenz verdammt hochlegen.