Die "Stadt der Verdammten" ist ein düsteres Rattenloch, das sich in der unmittelbaren Nachbarschaft von Frank Millers "Sin City" befinden könnte.
Wer in der hiesigen Comic-Landschaft einigermaßen bewandert ist, dürfte schon des Öfteren über den Namen Warren Ellis gestolpert sein. Seit 1997 erscheinen seine Arbeiten auf Deutsch, angefangen von Panini bis hin zu den mittlerweile nicht mehr existenten Verlagen Speed, mg publishing, Infinity und dem "alten", damals noch in München ansässigen Splitter Verlag. Der Brite hat sich nicht nur in den verschiedenen Superhelden-Universen von Marvel, DC und Image ausgetobt, sondern auch einige großartige creator-owned Serien geschaffen. Hier ragt als sein bisher umfangreichstes Werk "Transmetropolitan" hervor, eine Cyberpunk-Geschichte über einen Gonzo-Journalisten in einer nicht gerade freundlichen Zukunft. Mit Darick Robertson, derzeitiger Partner von Garth Ennis bei "The Boys", schuf er einen großartigen 60-teiligen Run, der um die Jahrtausendwende auch in unseren Breiten veröffentlicht wurde und seitdem einer Neuauflage harrt.
Für die ab 2005 erschienene Serie "Fell" hat sich Ellis mit Ben Templesmith zusammengetan, der deutschen Lesern wohl am ehesten durch das gemeinsam mit Steve Nils entstandene "30 Days of Night" bekannt sein dürfte. In seinem Frühjahrsprogramm hat der junge Verlag Nona Arte jetzt die ersten acht Ausgaben der Serie im Sammelband mit dem Titel "Stadt der Verdammten" vorgelegt. Protagonist ist der namensgebende Cop Richard Fell, der aus einem anderen Stadtteil in die heruntergekommene "Snowtown" versetzt wird. Was der Grund dafür ist, wird nur angedeutet, jedenfalls darf er nicht zurückkehren und muss seinen Dienst in einer Gegend antreten, in der ein Menschenleben nicht viel wert ist. Verbrechen jeder Art stehen auf der Tagesordnung, und so muss er sich mit Mördern, einem Selbstmordbomber, schmierigen Zuhältern, Psychopathen oder verrohten Eltern auseinandersetzen. Der einzige Lichtblick in dieser Petrischale des Wahnsinns ist Mayko, die Besitzerin seiner neuen Stammkneipe, die ihm auch gleich unaufgefordert zum Schutz das offizielle Logo von Snowtown als Branding verpasst.
"Jeder Mensch hat Leichen im Keller." Mit diesem Satz, der als einziger das Backcover ziert, wird das Dilemma von Richard Fell kurz und prägnant auf den Punkt gebracht. Er selbst hat sich offensichtlich mit einer seiner Handlungen keine Freunde gemacht und die bessere Gegend "drüben" jenseits der Brücke hinter sich gelassen, um drohenden Konsequenzen zu entgehen. Dass andere Menschen noch zu ganz anderen Dingen fähig sind, stellt sich bald heraus, und diese Erkenntnis bildet auch das Herzstück jeder Ausgabe, die mit Ausnahme der letzten jeweils einen in sich abgeschlossenen Fall behandelt. Die Verbindung zwischen den einzelnen Geschichten sind die wiederholten Besuche Fells in Maykos "Idiot’s Bar", die sich zwischen den beiden entfaltende Beziehung und die seltsame, ekelhafte Nonne mit Richard Nixon-Maske, die eine noch unbekannte Rolle spielt.
Warren Ellis lässt sein Figurenpersonal gewohnt explizit miteinander kommunizieren und sorgt damit für einen hohen Realitätsgrad, im Sündenpfuhl Snowtown lässt er mitunter skurrile Verbrechen geschehen, aber auch solche, die eigentlich überall passieren könnten. Das ist die Meisterschaft bei "Fell", das von einem zynischen Protagonisten und einer düster-dreckigen Atmosphäre lebt. Nicht minder beeindruckend ist das eigenwillige Artwork von Ben Templesmith, das gekonnt zwischen cartoonigen Anflügen, expressiven, holzschnittartigen Elementen und an Kinderzeichnungen erinnernde Bilder schwankt. Untermalt wird dieser sehr spannende Stilmix von einer tollen Kolorierung, die dominiert von Sepiatönen die erdige, schmutzige Stimmung perfekt widerspiegelt. Bleibt nach der sehr empfehlenswerten Lektüre von "Stadt der Verdammten" nur die Hoffnung, dass es in den Vereinigten Staaten endlich mit der Serie weitergeht, denn im Moment steht nur eine weitere US-Ausgabe als Druckvorlage zur Verfügung…
# # # Andreas Grabenschweiger # # #